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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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Okay, okay, sagt Djamila, ich mach’ leise, doch zu spät, zu spät! Afrikaner macht auch laute Musik, laute Fernsehen, ereifert sich Murad. Stimmt nicht, kontert Amal, du bist immer gegen Afrikaner! Auftritt Adolphe: Er sieht zwei Moslems im Konflikt mit einer Schwarzafrikanerin und fühlt sich natürlich bemüßigt, seine schwarze Schwester zu unterstützen. Muslim macht überall Problem, fordert er Murad heraus. Yaya kommt hinzu, die Spirale, sie dreht sich munter und fröhlich, es ist längst vergessen, worum es eigentlich ging. Yaya und Adolphe wissen es nicht einmal, denn es wird nicht mehr über die Lautstärke der Musik gestritten, sondern über Herkunft, Hautfarbe oder Religion des jeweils anderen. So, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, wird aus einem Streit um die gemeinsame Nutzung von Ressourcen hastenichjesehn ein ethnischer Konflikt, und hätte Hans nicht eingegriffen, so wäre der Konflikt wohl bald von der verbalen auf die physische Ebene übergegangen. Der Vorhang fällt, das Stück ist aus, Applaus, Applaus im Puppenhaus …
    Mehr Zeit zu haben bedeutet für einige meiner Mitbewohner leider auch Langeweile und Leerlauf – Langeweile ist Zeit für schwarze Gedanken, sagt man da, wo ich herkomme. Bei manchen hier im Haus, ob nun oben bei uns im Leo oder unten bei den Erwachsenen, ziehen dem strahlenden Sommersonnenschein zum Trotz mehr und mehr finstere Wolken auf, das jahrelange Warten und die staatlich verordnete Untätigkeit lasten im Sommer besonders schwer auf Schultern und Häuptern. Ich will endlich meinen Asylbescheid, hört man Nuriddin Tserendorj rufen, egal ob positiv oder negativ! Nuriddin, Journalist und Autor aus der Mongolei, ist seit sechs Jahren in Österreich und spricht mittlerweile besser Deutsch als so mancher Eingeborene, und seine Stimme ist im ganzen Haus zu hören, als würde sie aus unsichtbaren Lautsprechern übertragen. Kurs, fragt Magomaz der Muskelmann, dem man einen weiteren EDV -Kurs für den Herbst in Aussicht gestellt hat, ich will keine Kurs, ich will Arbeit! Arbeit, hallt es im ganzen Haus wider, Arbeit, klingt es aus allen Winkeln, und der ostdeutsche Bauarbeiter, der gerade auf dem Gerüst vor unserem Wohnzimmer steht, kratzt sich am Kopf und blickt verunsichert um sich. Und Gülertan Dolas, aus einem kleinen kurdischen Dorf im Osten der Türkei stammend, schlägt zum wiederholten Mal seine elfjährige Tochter, eine Mischung aus Wut, Verzweiflung und Scham führt ihm die Hand dabei. Seine Frau Halima hat als eine von ganz wenigen Asylwerberinnen einen Job erhalten und bringt, wenn auch nur vorübergehend, Geld nach Hause, während er als Mann und Familienoberhaupt zur Untätigkeit verdammt ist. Die Tochter, die immer wieder für den Vater dolmetschen muss, hat begonnen, seine Autorität infrage zu stellen. Und die Hand, die sich gegen die Tochter erhob, erhebt sich nun gegen ihn selbst, zur Bestrafung schlägt sich Gülertan Dolas mit aller Kraft auf die eigene Wange. Noch Minuten später ist der Abdruck der Hand zu sehen, und weinend vor Scham bittet er seine Tochter um Verzeihung. Die drei kleinen Geschwister verfolgen ängstlich die Szene, ohne zu verstehen, was vorgeht, die Tochter schweigt und blickt voller Verachtung auf das Gesicht des Vaters, auf die Tränen, die den Schnurrbart, den stolzen, benetzen.
    Doch die Rettung naht, zumindest für uns Jugendliche, die Rettung heißt Sommercamp und soll vierzehn Jugendlichen aus aller Welt die Schönheiten der österreichischen Alpen nahebringen. Eines schönen Tages im Juli steht zu nachtschlafener Zeit ein klappriger gelber Bus vor dem Haus. Hektische Vorbereitungen waren dem Tag der Abfahrt vorausgegangen, es hatte einiges an Überredungskunst, sanftem Zwang und unverhohlenen Drohungen gebraucht, um auch Nino, Adolphe und Afrim mit ins Busboot zu bekommen. Meine Freunde braucht mich in Wien, lautete Afrims Ausrede, Die Kühe auf die Wiese sind auch ohne mir glücklich, rotzte Rotkäppchen dem Onkel entgegen, Das ist wie Gefängnis, so wehrte sich Adolphe, doch letztendlich sitzen alle brav im Bus, als er eine halbe Stunde verspätet – Kamal, natürlich Kamal, er hat nichts gepackt, weil er dachte, wir machten nur einen Tagesausflug – seinem Ziel entgegenrattert: vierzehn Übelgelaunte Manisch-Depressive Fremdlinge, fünf Betreuer sowie eine Praktikantin, die Anfang Juli ihren Dienst angetreten hat und bis jetzt von mir sträflich vernachlässigt wurde, was ich jedoch sehr, sehr bald wiedergutzumachen

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