Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
Onkels Odem, Du musst dieses, oder den unserer furiosen Betreu-Erinnyen, Du musst jenes, im Nacken zu spüren, endlich gibt es Zeit für das Dolce far niente, Zeit für La dolce vita, wobei ich auf Anita Ekberg durchaus verzichten kann, mir wäre lieber, Audrey Tautou, Rachel Weisz oder Gwyneth Paltrow würden, einzeln oder auch zu dritt, dem Trevi-Brunnen entsteigen.
Mehr Zeit heißt allerdings auch mehr Zeit für Dummheiten. Afrim wird vor einem Wettcafé in eine Rauferei verwickelt und vorübergehend festgenommen, wird aber zum Glück von Zeugen entlastet, man kann ihm auch nicht nachweisen, dass er – als Minderjähriger – das Café betreten hat. Nino gerät zwar nicht mit der Polizei, dafür aber mit Hans und dem Onkel in Konflikt. Wir sind hier kein Hotel, in dem man kommen und gehen kann, wann man möchte, redet der Häuptling im Büro auf sie ein, als sie zum wiederholten Mal die Nacht unerlaubterweise außer Haus verbringt. Ich bin keine kleine Kind, gibt Nino wahrheitsgemäß, wenn auch grammatikalisch ein wenig eigenwillig zu Protokoll, ich bin fünfzehn! Eben, seufzt Hans, eben! Er fasst Nino an der Hand. Komm, sagt er, Rotkäppchen folgt ihm wider-, ich bereitwillig auf den Gang, wo er auf das Schwarze Brett zusteuert. Do, sagt er und deutet auf ein buntes Plakat mit den Jugendschutzbestimmungen, du waaßt sehr guat, wos do steht. Ich habe Brille vergessen, antwortet Nino rotzig. So ist’s gut, mein Mädchen, lass’ dir nichts gefallen von diesen Nazis! Hans zeigt ein müdes Lächeln. Das Jugendschutzgesetz, liest er laut vor, bestimmt nicht nur deine Rechte und Pflichten als junger Mensch, es bestimmt auch die Verantwortlichkeit von Eltern und Erziehungsberechtigten. Und sigst du, Nino, genau darum geht’s: Wonn dir wos passiert, donn host nit nur du a Problem, sondern a mir.
Kamal das Kamel schießt jedoch wie immer den Vogel ab: Er stürzt beim Fensterln vom Gerüst. Ich weiß nicht, sind es Ninos neckische Nippel oder Amals afrikanische Ammeneuter, die ihn aus der Bahn werfen, jedenfalls verliert er das Gleichgewicht, rutscht ab – und hat enormes Glück: Er verfängt sich zwischen Gerüst und vorgespanntem Netz und schlägt mit dem Kinn auf einer Eisenstange auf. Fazit: 1 Arm, gebrochen, 1 Zungenspitze, beinahe abgetrennt und wieder angenäht. Kurz- und mittelfristige Folgen: eine Woche flüssige Nahrung für Kamal sowie allabendliche akribische Kontrollen des Baugerüstes durch unsere Gefängniswärter.
Es bleibt aber nicht nur mehr Zeit für Dummheiten, sondern auch für Konflikte: Die Streitereien um die beiden Fernseher und das DVD -Gerät sind nun nicht allein auf Abende und Wochenenden beschränkt, sondern beginnen schon an den Vormittagen, das Gleiche gilt für Computer, Spiele und andere Gemeinschaftsgüter. Auch in den einzelnen Zimmern kommt es vermehrt zu Reibereien, weil viele nun einen großen Teil ihrer Zeit dort verbringen.
Bei uns im Haus kann man übrigens wunderbar im Kleinen beobachten, was draußen in der großen weiten Welt zu bewaffneten Auseinandersetzungen und Kriegen führt. Soziologinnen und Soziologen, Psychologinnen und Psychologen, Konfliktforscherinnen und Konfliktforscher, Mediatorinnen und Mediatoren, vor allem aber Politikerinnen und Politiker, kommt zu uns ins Leo, um hier eine Lektion zu lernen. Nehmt Platz in diesem schönen Theater, macht es euch bequem in rotem Plüsch und wartet, bis das Licht ausgegangen ist, der Vorhang sich öffnet und den Blick freigibt auf die Bühne. Drei Computer stehen da nebeneinander, Djamila, Amal und Murad sitzen davor. Djamila bewegt sich im Rhythmus zu den irakischen Musikstücken, die sie aus dem Internet saugt, O mother, the handsome man tortures me, säuselt es aus den Lautsprechern, Djamila zirpt die arabische Antwort im Duett mit ihrer Lieblingssängerin. Amal, eben erst dem Bette entstiegen, sitzt daneben und möchte in Ruhe E-Mails schreiben. Can you not turn off this shit, faucht sie, die sonst kein böses Wort über die kleine Schwester kommen lässt, entnervt. Doch Djamila hört nichts, sie schwebt auf virtuellen Wolken. Hey, sagt Amal und berührt sie ein wenig unsanft am Oberarm, turn it down! Murad, der bisher schweigend vor dem dritten Computer gesessen und auf einschlägigen Seiten seine religiöse Bildung vertieft hat, springt auf. Lass’ Djamila, ruft er aus. Erst jetzt blickt Djamila auf, fällt von ihrer Wolke herab und sieht Murad und Amal entgeistert an. The music is too loud, wiederholt Amal.
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