Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
gekannt, waren jahrzehntelang Nachbarn, Kollegen, Ehepartner. Natürlich gab es auch damals Konflikte, aber meistens hat das Miteinander oder Nebeneinander funktioniert. Sie streicht sich die Haare aus der Stirn. Versteh’ mich nicht falsch, sagt sie, ich möchte natürlich nicht zur Tito-Zeit zurückkehren – aber man hätte den Staat ja nicht zerschlagen müssen, um ihn zu demokratisieren.
Mira hört zu sprechen auf, der Lehrer schweigt, und bald beginnt wieder das gegenseitige Liebkosen. Die Schülerin legt Hand an des Lehrers läppischen Luststengel, Aaaaaah, seufzt er theatralisch und befleckt mit seiner Hand Miras makellose Mitte. Nicht so laut, sagt sie und legt einen Finger auf seine schmalen Lippen, Alenka muss nicht alles hören, was wir hier so treiben. Das Vorspiel zum zweiten Akt klingt aus, der Vorhang hebt sich, gibt den Blick frei auf die Bettbühne, Mira schwingt sich in den Sattel: Bitte, Herr Lehrer, machen Sie mir den Hengst, lautet ihr erster Einsatz. Der Hengst, er bringt sein Ohngemächt in Stellung, wertes Publikum, es darf gewiehert werden, jawoll, Mira setzt sich rittlings auf den Ritter von der traurigen Gestalt, sie bewegt sich vier Zentimeter auf und ab und auf und wieder ab, und diesmal braucht es neun Stöße, bis der Mann zum Höhepunkt kommt, und der Vorhang fällt unter magerem Applaus.
Wie war das eigentlich während des Krieges – warst du in Sarajevo? Miras Blick geht wieder zur Decke. Ihr Körper liegt zwar weiterhin neben dem von Lukas Neuner, doch ihre Gedanken verlassen den Raum, machen sich auf den weiten Weg in ein Land, das nicht mehr existiert. Und warst du … warst du direkt betroffen vom Krieg? O ihr Götter, ist der Mann dämlich, denke ich mir. Jeder war vom Krieg betroffen, gibt Mira zurück. Mein Mann musste zum Militär, noch bevor es richtig losgegangen ist. Er hat versucht, nach Slowenien zu kommen, doch das ist ihm nicht gelungen. Er wurde … wie sagt man, gezogen? Eingezogen. Als dann in Sarajevo die Kämpfe begannen, wurde die Schule zerstört, in der ich unterrichtete. Eine Zeit lang haben wir in anderen Gebäuden unterrichtet, dann gab es gar keine Schule mehr. Unsere Wohnung wurde von einer Granate getroffen, ich war zum Glück nicht zu Hause. Auch mein Bruder wurde eingezogen; er hatte bald nur noch einen Arm und durfte wieder nach Hause. Meine Mutter starb nicht lange danach, weil man sie im Spital nicht richtig behandeln konnte. Und dann … Sie bricht ab, dreht sich zu Lukas Neuner und blickt ihm in die Augen. Ja, meint sie nach einer kurzen Pause, man kann sagen, dass ich betroffen war.
Nun ist es an Lukas Neuner, betroffen zu sein, was jedoch nicht allzu lange währt, der Mann hat nicht nur kein Rückgrat, sondern auch keinerlei Taktgefühl, denn bald folgt ein dritter Durchgang, diesmal braucht es zwölfmaliges Rein und Raus und Raus und Rein, bis der Lehrer sein letztes bisschen Buttermilch aus sich herausquetscht. Und dein Mann, fragt er nach getaner Arbeit. Mira kehrt mir wieder den Rücken zu, der Kopf verdeckt die Lampe, die einen Strahlenkranz um ihre rötlichen Locken zaubert. Vermisst, sagt sie leise und ohne Lukas anzusehen. Und du hast ihn nie … man hat ihn nie gefunden? Mira schüttelt den Kopf.
Moment, Moment, Frau Obranović, hier muss ich mich einschalten, so geht’s nicht! Frau Obranović Mirela, im Folgenden Antragstellerin (Ast.) genannt, verwickelt sich bei der Einvernahme in Widersprüche. Bezüglich Verbleib ihres Ehegatten bekräftigte sie am 26.5. d. J. gegenüber ihrer Tochter: Du hast einen Vater. Heute, den 28.6. d. J., scheint die Ast. über den Tod des Ehegatten keinen Zweifel mehr zu hegen und stellt solcherart die Glaubwürdigkeit ihrer früheren Aussagen in Zweifel. Womit wieder einmal das Vorurteil bestätigt wäre, dass alle Asylwerber Lügner sind, Punkt, aus, Ende.
Die unglaubwürdige Ast. räkelt sich einstweilen in ihrem unglaubwürdigen Ast.-Bett, sie gähnt und täuscht in völlig unglaubwürdiger Weise Müdigkeit vor, der Lehrer glaubt ihr trotzdem, die Nachttischlampe wird ausgemacht, und Dunkelheit und Schweigen breiten sich über die Ast. und ihre unglaubwürdige Geschichte.
9
Summertime, and the livin’ is easy … Nach einem kühlen Juni betritt pünktlich zu Ferienbeginn der Sommer die Bühne: Hallo, Leute, hier bin ich, ruft er selbstbewusst ins gleißende Sonnenscheinwerferlicht, Pack die Badehose ein, raunt er launig ins Mikrofon, Summertime, singt er, and the fish are jumping, sie
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