Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
springen aus der Donau und glotzen Spaziergänger und Radfahrer und Jogger aus wässrigen Augen an. And the cotton is high, und die Baumwolle im Marchfeld, sie schießt prächtig in den global erwärmten Himmel zwischen Korneuburg und Kyoto, die Straßen schmelzen dahin vor Hitze, genervte Eltern stecken ihre Quengelkinder in voll gepackte Autos, bunte Blechschlangen winden sich Richtung Mittag und Nachmittag. Ganze Bezirke stehen leer und werden zu Geisterstädten, nur in der Innenstadt, da, wo der Kaiser zu Hause ist in Rot und Gold und Glanz und Abglanz, da drängen sich die Massen, blökende Herden durchstreifen die engen Gassen, heften sich ängstlich an die Fersen vielsprachiger Hirten: In diesem Haus schrieb Mozart im Jahr 1793 seine berühmte Neunte Symphonie, ta-ta-ta-taaaa, ta-ta-ta-taaaa, Aaah! und Oooh! macht es, es blökt und es blickt, und die Herden trotteln weiter. Eine davon verirrt sich auch zu unserem Haus: Hier sehen Sie ein Flüchtlingsheim, spricht die schönäugige Schäferin, der Staat versorgt in diesem Haus hundertdreißig Menschen aus mehr als dreißig Ländern, sie warten jahrelang auf ihre Asylbescheide, man lässt sie nicht arbeiten, man vergeudet ihre Talente, und viele werden letztendlich gegen ihren Willen in ihre Heimatländer zurückgebracht, wo manche den Tod finden. Ratlos und stumm blicken die Schäflein an der eingerüsteten Fassade nach oben, Mähähähääää, sagt eines schließlich, Mähähähääää, antworten die anderen, eine Taube, nein, es ist der Heilige Geist, flattert vorbei, und aus gießt er die grünweiße Glücksbotschaft über die lieben Schäflein.
Summertime, and your mamma ’s good-looking, und die Frauen und ihre Töchter, sie lassen die Kleider zu Hause, und die Mädchen und ihre Mütter, sie gehen nur mit dem Notwendigsten drapiert auf die Straße, auf der Donauinsel lassen einige sogar die allerletzten Feigenblätter fallen. Das Paradies auf Erden, es ist nur zwei U-Bahn-Stationen entfernt, and praised be the Lord für das Fernglas, das der gute Onkel sein Eigen nennt, zumindest in manchen Fällen, in anderen wieder scheinen die Götter beweisen zu wollen, dass es sie nicht gibt, denn welcher Schöpfer sollte so etwas hervorbringen: Okular auf Südsüdwest, ein aus aufgeblähten Weißwürsten zusammengefügtes, vielleicht, vielleicht aber auch nicht der Gattung Homo sapiens zuzurechnendes Subjekt weiblichen Geschlechts sitzt auf dem Landungssteg und sprengt beinahe die Linse, auch ID , Intelligent Design also, kann hier keine Rolle gespielt haben, höchstens DD , Dumb Design, doch nein, hier haben wir es sicherlich mit der guten alten, gottlosen Evolution zu tun: Und hier, meine Damen und Herren, dürfen wir Ihnen The Missing Link präsentieren!
In anderen Teilen besagter Insel geht es nicht so gott- und hüllen- und sittenlos zu, da sind männliche und weibliche Schätze brav verpackt, man sieht sogar viele völlig verhüllte Frauen, oder vielmehr, man sieht sie nicht, sondern nur ihre mehr oder weniger verlockenden Gesichter. Der Rest ist unter wallenden schwarzen oder grauen Tüchern verborgen, selbst beim Baden werden selbige nicht abgelegt, die meisten der grauschwarz Betuchten meiden aber ohnehin das Wasser, sie sitzen brav an der Seite ihrer Männer oder Väter oder Onkel oder Brüder, die mehr oder weniger fachmännisch Fleisch zu Tode grillen. Ganze Abschnitte der Insel sind in Rauchschwaden gehüllt, man riecht es bis hierher, meist handelt es sich um Lammfleisch, manchmal riecht es auch süßlich-verdächtig, man sagt, es wären kleine Christenkinder, doch das kann ich nicht bestätigen.
Summertime, and the ’fugees are coming. Ja, auch bei uns im Haus ist der Sommer nicht zu übersehen, auch hier sind Betreuerinnen wie Flüchtlinginnen in sommerlich-leichte Textilien gehüllt, der Sommer dringt ein durch offene Fenster und Türen, er trägt noch mehr Lärm und Staub von den Bauarbeiten in alle Winkel des Hauses, er quält uns an manchen Tagen mit brütender Hitze, entlässt Betreuerinnen und Betreuer in den mehr oder weniger verdienten Urlaub, vor allem aber tut er in seiner unendlichen Weisheit eines: Er beendet das nach ihm benannte Semester und damit das unwürdige Schauspiel der Deutsch-, EDV -, Alphabetisierungs-, Hauptschulabschluss- und sonstigen Kurse, das Sommersemester ist tot, lang lebe der Sommer! Endlich beginnt der Morgen nicht mit dem üblichen Grauen, endlich kann man tun und lassen, was man möchte, ohne ständig des
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