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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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Owa bitte, muass ja net sein, ma wü ja eh net mit alle Leit zsammkumman. Dann schweigt er tatsächlich.
    Als wir bei Völkermarkt schließlich von der Autobahn abfahren und bald danach die ersten harmlosen Kurven passieren, hat er dafür umso mehr zu sagen: Djamila kotzt nämlich den Großteil ihres Lunchpakets auf Sitz und Gang. Alfreds Repertoire an Flüchen ist beeindruckend. Auf der Weiterfahrt schweigt er jedoch wieder, während Hans ihn in zunehmend hohlere Gassen hineindirigiert.
    Es beginnt zu regnen, während wir auf eine Schotterstraße abzweigen, Alfred lässt wieder einige schöne Flüche hören. Als Hans schließlich auf eine schmale Straße linker Hand deutet, verweigert er. Aus, i foa kan Meter mehr, des san ja kane Straßen, des san Wanderwege! Es is nur noch a gonz klaanes Stickl, versucht Hans mit ihm zu handeln, dreihundert Meter vielleicht. Na, dann kennts ja eh z’Fuaß gehen, lautet die Antwort. Bei dem Regen? Mitn gonzn Gepäck? Hättma doch dos Auto gnommen, klagt Hans, doch zu spät: Haluk kommt erst am nächsten Tag mit seinem Wagen, unsere braven Betreuerinnen und Betreuer haben sich aus Umweltschutzgründen dagegen entschieden, einen weiteren Privat-Pkw mitzunehmen. Der Onkel taucht aus den Tiefen des Busses auf und versucht’s mit Geld, doch nicht einmal das kann Herrn Alfred umstimmen. Des geht vielleicht mit an VW -Bus, oba net mit an Zwölf-Meter-Auto, schimpft er. Die Straße, um die es sich handelt, sieht tatsächlich sehr schmal und außerdem steil aus, man kann es ihm also nicht wirklich verübeln. Hans zückt sein Telefon und ruft zwei verschiedene Nummern an, doch vergebens.
    Nun, unser erster Eindruck von der österreichischen Bergwelt ist ein feuchter. Statt dreihundert sind es, wie der Onkel zwei Tage später mittels Schrittzähler ermitteln wird, beinahe tausenddreihundert Meter, die uns noch bis zum Haus fehlen. Wir alle haben nicht allzu viel Gepäck, doch es sind vor allem Lebensmittel, Geschirr, Sportartikel, Spiele und andere Utensilien, die zum Haus getragen werden wollen. Es dauert mehr als eine Stunde, bis alle Schäfchen im Trockenen sind und deren Futter in Sicherheit gebracht ist. Zwar haben wir Juli, doch das Haus liegt auf über tausend Meter Seehöhe (1094, so der Onkel mit preußischer Genauigkeit), durch den Regen ist es stark abgekühlt. Djamila und Nicoleta und Murad sitzen zitternd auf der Ofenbank, Hans, der ganz gebeugt vor schlechtem Gewissen durchs Haus schleicht und sich bei jedem Einzelnen immer wieder entschuldigt, macht ihnen Feuer hinterm Hintern. Der Widerschein der rasch auflodernden Flammen tanzt über die Gesichter der Umstehenden, und Sibels Gesicht, o Cybele, o flammende Göttin, lässt alle anderen verblassen.
    Sibel also. Sibel Gündüz, zweiundzwanzig Jahre alt und die schönste Frau zwischen Wien und Wladiwostok, Scheibbs und Schenectady, Mistelbach und Manila, Sibel, meine Göttin. Ihre Eltern stammen aus dem Wilden Osten der Türkei, sie selbst erblickte in Wien das Licht dieser schönen Welt, was sie jedoch keineswegs zur Österreicherin macht, denn es fließt ja fremdes Blut in ihren Adern bis ans Ende aller Tage. Ich sollte eigentlich mit achtzehn die Staatsbürgerschaft bekommen, erzählt sie mir, als wir beim Abendessen nebeneinandersitzen, doch da war ich ein Jahr in Berlin zum Studieren, und jetzt muss ich wieder ein paar Jahre darauf warten. Sie studiert Ethnologie und Soziologie und macht ein zweimonatiges Praktikum bei uns, wir sind sozusagen Versuchskarnickel für sie, und wenn es nach mir geht, Frau Doktor in spe, dann bin ich für jedes Experiment zu haben, bei uns gibt es echte Neger zum Anfassen, und bitte fassen Sie nur recht kräftig zu, Frau Doktor, Ali mag das!
    Der Regen bleibt uns auch am nächsten Tag treu, es regnet Katzen und Hunde, wie der Englischmann zu sagen pflegt. Wir sind gekommen, um ehrfürchtig staunend vor erhabenen Bergriesen zu stehen, doch wir haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Die Bergriesen, es gibt sie nicht, oder sie machen Urlaub an der Adria, jedenfalls zeigen sie sich nicht, wahrscheinlich sind Kärntner Berge für Menschen mit deutscher Muttersprache reserviert.
    Das Tiefdruckwetter draußen findet seine Entsprechung auf dem Stimmungsbarometer im Inneren des Hauses. Der Onkel und sein Team sind nicht zu beneiden, sie versuchen, uns mit allerlei Spielen und Aufgaben bei Laune zu halten. Das Haus, ehemals Sitz des Herrn Oberförsters und der Frau Oberförstersgattin, ist zwar groß,

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