Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
von den Eingeborenen trennt, auch wenn ein großes Füttern-verboten-Schild dran hängt. Abends wird gemeinsam gekocht, danach in der Stube oder draußen am Lagerfeuer gespielt und gesungen, es werden mittels Hansens Teleskop die Sternbilder und am Ende des Tages die Fenster des Frauenzimmers studiert. Doch ich sehe nur Schatten, nichts als graue, unscharfe Konturen, erst als Sibel auftritt, ward es Licht, jetzt, jetzt zieht sie das T-Shirt über den Kopf, doch im selben Moment verstellt mir die eifersüchtige Mira den Blick, gönnt mir nichts, nicht das kleinste bisschen von Sibels Samt- und Seidenhaut. Afrim drängt mich zur Seite, auch er möchte sich mit Brüsten in dreihundertfacher Vergrößerung den Schlaf versüßen. Dreihundertmal nichts ist immer noch nichts, wirft er sich in Bezug auf Nicoleta in Machopose. Das gilt auch für den Intelligenzquotienten mancher Kosovo-Albaner, gebe ich zu bedenken, worauf er mir einen Mittelfinger mit angekautem Nagel entgegenstreckt.
Die Rechnung unserer werten Wärterinnen und Wärter geht tatsächlich auf: Die meisten ihrer Schützlinge scheinen den Aufenthalt in den Bergen nach anfänglicher Skepsis zu genießen. Ich sehe, wie sich die Gesichter entspannen, die Körper aufrichten, die ungewisse Zukunft und die unschöne Vergangenheit, die sonst zentnerschwer auf Schultern und Nacken drücken, sie werden von einer unbeschwerten Gegenwart verdrängt; manche schweben einige Meter über dem Erdboden – Unbekannte Minderjährige Flugobjekte über Kärnten gesichtet –, als wäre die Schwerkraft aufgehoben. Die Gesichter werden weicher, als hätte Meister Hamilton seine Filterfinger im Spiel, es wird mehr gelächelt, selbst von Menschen wie Amal oder Oma, ja, sogar Yaya, viel aufmerksamer und wacher als sonst, kann sich hin und wieder eines Lächelns nicht erwehren. Oma bringt eines Abends zum Ausdruck, was so mancher in unserer Runde denkt und fühlt: Während wir den Tag am Lagerfeuer fröhlich ausklingen lassen, beginnt sie plötzlich leise zu weinen. Das ist nichts Ungewöhnliches, jeder von uns hat Oma schon oft in Tränen gesehen, auch in dieser Woche hat sie wegen der Dunkelheit im Matratzenlager welche vergossen. Jetzt lässt der Feuerschein ihre Tränen aufblitzen, Zakia setzt sich neben sie, legt ihr den Arm um die Schultern. Was ist los, fragt sie, warum weinst du? Normalerweise gibt Oma keine Antwort auf diese Frage, wahrscheinlich weiß sie selbst nicht immer den Grund für ihre Tränen, doch diesmal ist es anders. Weil ist schön da, sagt sie, und ein Lächeln schummelt sich zwischen die Tränen, ist schön mit alle.
Fast könnte man also glauben, wir wären ganz normale Jugendliche, die hier einen ganz normalen Wanderurlaub verbringen. Aber eben nur fast. Wenn von dem Fang der Jäger lustig zieht nach Haus, da steckt kein sittsam’ Kind den Kopf zum Fenster ’naus, singe ich warnend, als am nächsten Tag unweit des Hauses zwei grüne Weidmänner auftauchen. Die beiden Jäger kommen langsam die Straße herauf, sie unterhalten sich, dann bleiben sie stehen, um Yaya und vier oder fünf weiteren Jugendlichen beim Fußballspielen zuzuschauen. Die Weidmänner grüßen, die sittsamen Fußballer grüßen zurück. Yaya hält inne und blickt irritiert auf die Gewehre, die anderen setzen ihr Spiel fort. Ich sitze auf der Bank neben dem Eingang, mein Rücken lehnt an der Hauswand und freut sich an der im Holz gespeicherten Wärme, mein Blick geht hin und her zwischen Yaya, den grünen Männchen, den Fußballern und Sibel, die sich ein paar Schritte von mir entfernt im Liegestuhl räkelt und die milden Strahlen der Spätnachmittagssonne genießt. Wäre ich zum reinen Vergnügen in dieser Welt, ich würde nie und nimmer den Blick von Sibel wenden, Tag und Nacht würde ich demutsvoll und freudig das erste Gebot heiligen, Du sollst neben mir keine anderen Göttinnen haben, und weder Weid- noch Ballermänner könnten mich davon abhalten. Doch ich bin nun einmal hier, um Bericht zu erstatten, und in dieser meiner Funktion befällt mich eine plötzliche Vorahnung. Kurze Zeit später fliegt der Ball in Richtung der beiden Jäger, Afrim läuft hinterher, erwischt ihn, der Jüngere der beiden nimmt das Gewehr von der Schulter, und im selben Augenblick landet Yaya mit vollem Gewicht auf Mann und Gewehr. Man hört einen Schrei, ich weiß nicht, von wem. Yaya ringt mit dem Mann am Boden, der andere versucht, die beiden zu trennen, Adolphe und Afrim und Tomo und Djaafar kommen
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