Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
allerdings ein wenig ungeheuer. Es gibt also doch noch Gerechtigkeit auf dieser Welt, und ihr Götter, die ihr die Schritte von Menschen und die Verdauung von Kühen lenkt, wenn ihr schon dabei seid, bestraft doch bitte gleich alle selbst ernannten Moralapostel, religiösen Fanatiker und Fundamentalisten auf solche oder ähnliche Art, die Welt, sie wäre gewiss ein friedlicherer Ort!
Am darauffolgenden Tag wird klar, warum ausgerechnet Kamal zu Ninos Verteidigung angetreten ist. Wir sind von unserer Wanderung zurückgekehrt, im Haus wird eifrig gekocht, nachdem ich keinen Küchendienst habe, möchte ich mir vor dem vorletzten Abendmahl noch ein wenig die Beine vertreten. Ich steuere auf ein kleines Waldstück in der Nähe des Hauses zu, ich erfreue mich an den Düften der Natur, pflücke ein paar Erdbeeren am Wegesrand, lausche den munteren Waldvögelein, der weiche Boden federt bei jedem Schritt, und ich stolpere beinahe über Rotkäppchen. Sie räkelt sich im Moosbett, die schlanken Beine weit und breit geöffnet, doch sie liegt nicht alleine, die Waldnymphe, nein, und nicht der Böse Wolf ist ihr Begleiter, sondern Kamal das Kamel. Mit raschen Stößen versenkt er seinen Hirtenstab in der heiligen Nino Schoß, in den Händen des Engels sieht sie einen langen goldenen Pfeil, es kommt ihr vor, als durchbohrte er mit dem Pfeil ihr Herz, und wenn er den Pfeil wieder herauszieht, ist ihr, als zöge er den innersten Teil ihres Herzens mit heraus, und der Schmerz ist so scharf, dass er sie zu vielen Seufzern treibt, und so groß ist die Süßigkeit dieser Qual, dass sie niemals wünschen kann, sie zu verlieren, und Ninos Lockenhaupt ist ein Kranz aus gleißendem Licht, und Kamal schließt geblendet die Augen, als er auffährt in den Himmel über Karantanien.
Die heilige Nino … Ich wusste ja, dass sie schamlos ist. Zuerst verdreht sie Lukas Neuner den Kopf, dann treibt sie sich nachtaus, nachtein mit wissen die Götter wem herum, nun also muss sogar das Kamel herhalten, denn Ninos Schamloslippenmund hat einen unstillbaren Hunger nach Frischfleisch. Jetzt hab’ ich Hunger, sagt sie, wir müssen gehen zu Abendessen. Kamal nickt, ein wenig benommen noch, sie schubst ihn sanft, aber bestimmt von sich herunter, er rollt seinen Hirtenstab ein, streift die Gummimitra ab und lässt sie achtlos ins Gras fallen. Man glaube nicht, dass es mich stört, wenn Nino sich im Wald wie ein Tier vergnügt, nein, Fräulein Bakuradze soll sich ihre Geschlechtskrankheiten holen, wo und von wem sie möchte. Ich bin nicht ihr Arzt und nicht ihr Beichtvater und nicht ihr Bruder, ich bin nicht Murad, ich bin nicht an ihren Reizen interessiert, ich stehe über solchen Dingen, und außerdem gibt es für mich ja ohnehin nur Sibel, ihr allein gehören mein Herz und meine Seele.
Die beiden stehen auf. Nino lässt sich Zeit mit dem Anziehen und geizt nicht mit tiefen Einblicken, Nino schamlos, Nino schamhaarlos, sie frisiert sich das Haar mit schlanken Fingern, zupft Moosfäden aus den Locken, Nino die Waldnymphe. Nein, nicht, dass es mich stören würde – ABER WARUM MUSS SIE SICH AUSGERECHNET VON ABU-BAKR AL KAMAL BESPRINGEN LASSEN, WENN SIE DOCH GANZ ANDERE MÄNNER HABEN KÖNNTE???!!! Kamal der Satyr mit den Bocksfüßen, auch er ist noch immer nackt, sein Bockshorn, es regt sich aufs Neue, er legt seine Hände an der Nymphe Hinterhüfte, doch sie stößt ihn weg. Wir müssen gehen, Dummkopf, sagt sie, und der Satyr grinst schafisch und trottet brav hinter ihr her, als sie kurz darauf das Wäldchen verlassen.
Sibel, meine Göttin. Ich sollte Gedichte schreiben für sie. Wer ist sie, die hervorbricht wie die Morgenröte, schön wie der Mond, klar wie die Sonne, gewaltig wie ein Heer? Ich bin hinabgegangen in den Nussgarten, zu schauen die Knospen im Tal, zu schauen, ob der Weinstock sprosst, ob die Granatbäume blühen, und ohne dass ich’s merkte, trieb mich mein Verlangen zu der Tochter eines Fürsten. O Gastarbeiterfürstentochter aus fernem Land, wende dich hin, wende dich her, dass ich dich schaue: Sibel am Morgen mit heiserer Stimme, die die Nacht noch in sich trägt; Sibel mit kurzen Hosen, abmarschbereit für die Wanderung; Sibel mit verschwitztem T-Shirt und wehendem Haar auf dem Gipfel; Sibel in den Strahlen der untergehenden Sonne oder im Widerschein des Lagerfeuers; Sibel im fahlen Licht des Mondes und im Gelichter meiner Träume; und Sibel bei unserer letzten Wanderung, die auf mein lange, viel zu lange hinausgezögertes
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