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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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Liebesgeständnis, Du liebes Kind, komm, geh’ mit mir, gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir, mit peinlich berührter Miene reagiert. Ich mag dich auch gern, du bist lieb, Ali, ABER , und überhaupt, ich hab’ ja einen Freund, und wie zum Beweis klingelt das Telefon: Hallo, flötet sie, das Antlitz von Freude überschwemmt, du bist schon zurück?
    Was bleibt mir anderes übrig, als Trost in der Natur zu suchen, wenn auf die Menschen kein Verlass ist? Seid umschlungen, ihr unverrückbaren Felsen, seid geküsst, ihr zartblättrigen Blümelein, in stiller Andacht lasst mich streifen durch diesen frischen grünen Hain. Doch auch die Natur hat heute keinen Trost für mich, zeigt böse Farben nur: Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus, aus aus aus, geben die Felswände höhnisch zurück. Alles ist aus, ich renne, um zu vergessen, ich stürme und dränge, und plötzlich merke ich, dass ich nicht alleine bin, andere ziehen mit mir, ich kenne ihre Gesichter nicht, doch ich weiß, dass es Brüder und Schwestern sind, gleichen Willens und nämlichen Sinns. Und nun werden gemeinsam die Gipfel gestürmt, die Kreuze, bald brennen sie lichterloh, weithin sichtbar sollen sie verkünden, dass nun andere Zeiten anbrechen. Zwei Mal sind unsere Väter vor Wien gescheitert, wir aber sind gescheiter, unsere Strategie ist geschickter, wir kommen von innen, wir sind schon drinnen, wir haben die Unterwanderstiefel angezogen, wir tragen eine weiße Weste am Leib, doch unsere Seele ist schwarz wie die Nacht, und unser Herz schlägt nicht für Österreich, nein, und nichts und niemand kann uns aufhalten, heute gehört uns Kärnten und morgen die ganze Welt. Wir stellen neue Ortsschilder auf, fort mit den widerlichen deutschen Namen, fremd muss es klingen, sonst hat es keinen Bestand, und die Welt sieht ohnmächtig zu, sie kann nichts tun, denn nichts und niemand kann uns aufhalten, heute gehört uns Kärnten und morgen die ganze Welt. Und alles dreht sich um uns, die Berge drehen sich, die Kärntner Mädchen drehen sich, die Wolken drehen sich – – – Ali, was ist los, Ali, was hast du? Ich liege im Gras, rund um mich drehen sich die Gesichter, da, da ist Sibels Gesicht, ich spüre ihre Hand auf meiner Schulter, Was hat er, warum verdreht er die Augen so, die Gesichter drehen sich langsamer, Er hat ja Schaum vor dem Mund, das Drehen hört schließlich ganz auf. Was denn, was denn, es ist nichts, sage ich, es war nur ein Scherz, versichere ich, und das Gras ist so schön weich hier. Die anderen schweigen betreten, bald danach steigen wir zum letzten Mal vom Berg hinab ins Tal, am Tag darauf kehren wir nach Wien zurück, Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh’ ich wieder aus, und nicht einen Mohr im Hemd hab’ ich in zehn Tagen in diesen ungastlichen Gefilden bekommen.

10
    Der Juli ist zu Ende, doch der Sommer geht weiter. Für den August haben sich unsere Wärterinnen und Wärter etwas Neues einfallen lassen: Es gibt Workshops für Film, Fotografie, Theater und Malerei, die nicht nur uns im Leo, sondern auch den anderen Jugendlichen im Haus offenstehen. Für Film und Fotografie gibt es natürlich die meisten Interessenten, für Malerei sind es schon nicht mehr so viele, im Theaterworkshop gibt es außer mir nur vier weitere Teilnehmer, Nicoleta, Adolphe, Nino und Anandyn Tserendorj, Sohn von Nuriddin und Namuna aus der Mongolei. Fünf Leute sind nicht viel, sagt Lydia, unsere Workshopleiterin, sichtlich enttäuscht, aber wir werden versuchen, das Beste daraus zu machen. Der Beginn ist mühsam, meinen Genossinnen und Genossen fehlt die Inspiration, Lydia fehlt nicht nur die Inspiration, sondern auch der Plan. Ihre Vorstellungen vom Theater sind höchst bürgerlich, sie will mit uns einzelne Szenen aus klassischen Dramen erarbeiten, o edle Einfalt, Ihr könnt mit euren eigenen Worten sprechen, wenn ihr wollt, sagt Lydia, o stille Größe, es geht darum, eure eigenen Erfahrungen einzubringen. Das ist doch Theater für Bürger des 19. Jahrhunderts, schalte ich mich ein, doch wir leben im 21. Jahrhundert, und wir sind keine Bürger, wir sind Randfiguren der Gesellschaft ohne bürgerliche Rechte, das sollten wir thematisieren. Okay, sagt Lydia, das klingt spannend, aber welche Stücke möchtest du dafür verwenden? Stücke, wer braucht denn Stücke? Wir brauchen ein paar Szenen, und die überlegen wir uns selbst. Und du glaubst, das reicht für die Bühne? Bühne, noch so ein Konzept des 19. Jahrhunderts, wir brauchen keine

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