Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
in Tiraspol, kein Schulabschluss, Sprachen Rumänisch und Russisch, keine Vorkenntnisse der deutschen Sprache. Fluchtgründe laut eigenen Aussagen: Seit etwa 2001 systematische Benachteiligung der rumänischsprachigen Bevölkerung Transnistriens, der Unterricht an den rumänischsprachigen Schulen wird immer wieder ausgesetzt, die Schulen zeitweise geschlossen, die Schüler schikaniert. Die Mutter verliert ihren Job als Krankenschwester und in Folge dessen auch die Wohnung. Nicoleta und ihr Bruder werden bedroht und eingeschüchtert, die Familie versucht, nach Russland oder Rumänien auszuwandern, doch das misslingt. Mutter und Bruder kommen für einige Zeit wegen angeblich staatsfeindlicher Betätigung in Haft, auch Nicoleta soll verhaftet werden, kann aber rechtzeitig das Land verlassen. Erreicht Österreich mithilfe von Schleppern, stellt im Januar 2004 Antrag auf Asyl, kommt im März desselben Jahres ins Leo, der Antrag wird im Februar 2005 in erster Instanz abgelehnt, zurzeit läuft ein Berufungsverfahren.
Enttäuscht lasse ich die Mappe sinken. Nach eingehender Lektüre von Stammdatenblatt, Einvernehmungsprotokoll, ablehnendem Asylbescheid und weiteren Papieren habe ich kaum Neues erfahren, und es gibt nichts, gar nichts, was Auskunft geben würde über die fürchterlichen Fotos. Ich schlendere zurück zum Haus, lege die Akte X wieder an ihren Ort Y, verwische meine Spuren und verlasse das Büro, und niemand hat’s gesehen und keiner ist’s gewesen. Doch in den Akten, so tröste ich mich selbst, ist ja ohnehin nur die halbe und nichts als die halbe Wahrheit zu finden.
11
In den letzten Augusttagen fällt die Temperatur in den Keller, und wir packen die Nerzmäntel aus und die Badehosen ein. Für Nino und Kamal geht der Sommer jedoch weiter. Hand in Hand wandeln sie über blühende Wiesen, ewigen Frühsommer im Herzen, herzen und küssen sie einander, und jeder ist erstaunt, denn niemand hätte gedacht, dass Ninos Interesse an Kamal länger als eine Woche anhalten würde. Einzig und allein Murad ist nicht erstaunt, sondern entrüstet. Wie kannst du mit Kamal schlafen, wenn du nicht mit ihm verheiratet bist, wirft er Nino auf Russisch vor. Diesmal hütet er sich jedoch, das Wort Hure in den Mund zu nehmen, seine Wange hat Kamals Ohrfeige noch nicht vergessen, er spricht nur von Ehre, die beschmutzt, von Unschuld, die verloren wurde. Niemand wird dich heiraten wollen, prophezeit er der heiligen Nino, doch die tippt sich nur an die Stirn.
Kamal teilt diesmal zwar keine Ohrfeigen aus, muss jedoch welche einstecken – Tomo erwischt die beiden nämlich, als sie auf seinem Bett dem Höhepunkt entgegenrammeln, und verpasst Kamal eine ordentliche Tracht Prügel. Wie kommt ihr dazu, Tomos Bett zu benutzen, fragt der erboste Onkel, vor dem die drei wenig später halbwegs angezogen und durchwegs betreten antreten. Wos hobt’s eich denn dabei gedocht, assistiert Hans. Meine Zimmer war besetzt, antwortet Nino nach längerem Schweigen. In meine Zimmer war Djaafar, gibt das Kamel zu Protokoll. Aha, und da habt ihr euch gedacht, versauen wir einfach ’n anderes Bett. Kamal nickt. Die Strafe für die drei: Jeder, auch Tomo, bekommt zwölf Stockschläge auf die Fußsohlen. Das ist unfair, protestiert Letzterer, doch es nützt ihm nichts. Es geschieht Tomo ja auch irgendwie recht, denn ich weiß, dass Kamal die Prügel nicht nur wegen der Benutzung und Beschmutzung von Tomos Bett abbekommen hat, sondern auch aus Eifersucht: Auch Herr Tomislav Nikolić würde nämlich nur zu gerne sein Ringelschwänzlein in Rotkäppchens rosarotem Röslein versenken … Die Strafe für alle: Ab sofort ist das Schuster- und Naglergewerbe im Leo verboten. Geht auf die Donauinsel oder findet ’ne andere Möglichkeit, wenn ihr schon unbedingt Sex haben müsst, sagt der Onkel, hier im Haus schafft das nur Unfrieden. Von nun an kann man Nino mit ihrem Kamel an der Leine durch die unteren Stockwerke des Hauses streifen sehen; dem wachen Auge des Oheims und seiner Büttel entzogen, suchen sie leer stehende, unverschlossene Räume, und irgendwo findet sich immer irgendein Zimmer, und sei es nur eine Abstellkammer, in der die beiden schnell ihren Hunger stillen.
Mira ist heute wieder einmal unseres Kerkers manierliche Meisterin, zusammen mit Tony versieht sie ihren Dienst. Abends jedoch lässt Tony sie im Stich, sie bleibt allein mit ihren Schützlingen, unterstützt nur von unserem Zivildiener Fabian. Doch kaum hat Tony das Büro verlassen, steckt
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