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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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Lukas Liederlich Neuner seinen Kopf zur Tür herein, nicht ohne seinen Körper hinterherzuziehen. Die beiden fühlen sich unbeobachtet, und schon geht das Geschmuse los. Hier muss ich natürlich einschreiten, denn es geht nicht an, dass sich Mira auf Kosten der österreichischen Steuerzahlerinnen und -zahler während der Dienstzeit verlustiert. Ich verlasse also mein Versteck und betrete, mich im letzten Augenblick räuspernd, das Büro unter einem fadenscheinigen Vorwand. Ei, da springt es auf, hui, da wird es rot im Gesicht, so ist’s recht, habt nur ein schlechtes Gewissen!
    Der Lehrer ist hartnäckig. Er bleibt bei Mira im Büro, er isst mit uns zu Abend. Es wird spät, Husch, husch ins Körbchen, heißt es dann. Mira erzählt schnell noch jedem eine Gutenachtgeschichte, den Gutenachtkuss gibt es leider nur von Lukas, und dann werden brav überall die Kerzen ausgeblasen.
    Ich warte eine Viertelstunde, bald wird links gesägt, dann wird rechts gesägt, ich verlasse Bett und Zimmer. Das Betreuerzimmer hat keine Löcher in der Wand, man muss also das Ohr ganz klassisch an die Tür legen. Natürlich ist dahinter des Lehrers Stimme zu vernehmen, er ist noch immer im Haus, er hat offensichtlich vor, die Nacht mit Mira zu verbringen, hat vor, sie von ihren Pflichten abzuhalten. Da predigt man uns Jugendlichen Enthaltsamkeit, verbietet uns den Verkehr im Haus, und was tun die Erwachsenen? Ich möchte nicht mit schlechtem Beispiel vorgehen, sagt Mira gerade. Vorangehen, verbessert Lukas sie. Dann hört man eine Weile nichts, wahrscheinlich hat Lukas ihr mit Lüsterzunge den Erdbeermund gestopft. Aber, Herr Lehrer, heißt es nach einer Weile entrüstet, Sie sind ja ein ganz Schlimmer. Aber ich will ja nur dein Bestes, antwortet der parthenophile Pädagoge. So, sagt Mira dann ein wenig später, und es klingt, als richtete sie sich auf und streifte sich den Rock zurecht.
    Sie unterhalten sich eine Weile über geplante Verschärfungen im Asyl- und Fremdenrecht, über eine Kollegin von Lukas und schließlich über Nicoleta. Um Nicoleta mach’ ich mir große Sorgen, sagt Mira, sie isst immer weniger und raucht dafür immer mehr. Sie wirkt ziemlich zerstreut, bestätigt Lukas. Dann schweigen beide. Im Krieg hab’ ich übrigens auch zu rauchen begonnen, sagt Mira dann, an dem Tag, an dem unsere Wohnung von einer Granate getroffen wurde. Da hätt’ ich wahrscheinlich auch zu rauchen angefangen, antwortet der Lehrer. Hast du nie geraucht? Herr Neuner schüttelt anscheinend den Kopf. Und wann hast du aufgehört, will er wissen. Als ich mit Alenka schwanger war. In Österreich hab’ ich aber wieder angefangen, erst vor vier Jahren hab’ ich dann ganz aufgehört.
    Sie schweigen eine Weile. Wie war das eigentlich, als du nach Österreich gekommen bist, fragt Lukas dann. Wo hast du gewohnt, wie war das mit Arbeit, wie war das mit Alenka? Es war ziemlich beschissen, antwortet Mira nach einigem Zögern. Die ersten paar Monate war ich mit Alenka in einem improvisierten Flüchtlingslager im fünften Bezirk, in einer ehemaligen Fabrik. Da gab es keine Wohnungen oder Zimmer wie hier, sondern einen riesigen Raum auf jedem Stockwerk, der durch Vorhänge und Decken und Schränke abgeteilt wurde. Man hat jedes Schnarchen und Husten, jedes Kindergeschrei gehört, und wenn Paare miteinander Sex hatten, dann hat es oft das ganze Stockwerk mitbekommen. Täglich gab’s Streitereien und manchmal auch Schlägereien zwischen Kroaten, Serben und Moslems, die Leute haben den Krieg im Gepäck mit nach Wien genommen und hier ausgepackt und weitergemacht, es war einfach nicht auszuhalten. Aber ich hatte Glück: Einer der Betreuer besaß so ein kleines Haus mit Garten in Hütteldorf, so einen … wie sagt man … Schreibergarten? Schrebergarten, verbessert der Lehrer. Genau, und er hat mir angeboten, mit Alenka dort einige Monate zu wohnen. Das war natürlich angenehmer und ruhiger als im Flüchtlingsheim, aber es wurde mir bald zu ruhig. Wieso? Ich musste einfach raus. Am liebsten waren mir möglichst belebte Orte: Fußgängerzonen, Einkaufszentren, U-Bahn-Stationen und so weiter. Ich war allein und trotzdem unter Leuten, es gab viel zu sehen, und ich musste nicht nachdenken. Irgendwann musste ich aber doch nach Hause, und abends und nachts blieb immer noch viel zu viel Zeit zum Nachdenken – und das war das Schlimmste.
    Und wie hast du Arbeit gefunden, will Lukas wissen. Du bist ziemlich neugierig, neckt sie ihn. Stimmt, gibt er zu. Ich hab’

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