Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
den Schluchten des Balkans, und es ist auch klar, wann sie aufgenommen wurden, nämlich nicht erst vor Kurzem, sondern schon vor Nicoletas Einreise nach Österreich. Aber was bedeutet das? Heißt es, dass Nicoleta nicht wirklich aus Transnistrien, sondern aus dem ehemaligen Jugoslawien stammt? Aber warum dann diese Scharade? Welchen Vorteil hätte Nicoleta davon? Ich schalte den Computer aus. Hier bedarf es weiterer Ermittlungen, so viel ist klar, doch letztlich gibt es ohnehin nichts, das sich auf Dauer vor mir verbergen ließe.
Als ich am nächsten Tag bei Pitra vorbeischaue, ist ihr Zimmer voller Menschen. Ungefähr fünfzehn Leute sitzen, hocken oder stehen herum und reden aufgeregt mit- und durcheinander. Die Schwarze Köchin thront in der Mitte des Raumes auf dem Boden, sie hat ihren dicken Arm um Salvas Frau Ana gelegt, Anas Kinder hängen an der Mutter, alle sind in Tränen aufgelöst. Ana versucht etwas zu erzählen, doch vor lauter Schluchzen versteht man kaum ein Wort. Was ist los, frage ich die hochschwangere Anunu, die neben der Tür sitzt, auf Ogoni. Hast du’s noch nicht gehört? Was denn? Salva ist tot, sagt sie leise. Er ist ganz plötzlich gestorben, fügt Nuriddin hinzu, in der Schubhaft. Angeblich an Herzversagen.
Ich lasse mich neben den beiden auf den Boden sinken und schließe die Augen. Salva ist also tot, Salva ist also einem Herzversagen erlegen. Ich sehe ihn vor mir, jung, gesund, kraftstrotzend, ich sehe ihn mit den beiden Kindern spielen, ich erinnere mich an seine Verhaftung vor einigen Monaten. Und dann sehe ich ihn in der Gefängniszelle sitzen und warten, Tag für Tag beteuert er seine Unschuld und sehnt sich nach seinen Kindern und manchmal auch nach seiner Frau. Ich sehe Ana zu Besuch im Gefängnis, Schluss jetzt, bellt der Wärter, einer nach dem anderen verabschiedet sich, auch Ana und Salva nehmen Abschied und wissen nicht, dass es das letzte Mal sein wird. Der Wärter treibt die Häftlinge vor sich her, Salva ist der letzte in der Reihe, der Wärter beschimpft ihn, er rempelt ihn von hinten an, Dalli, dalli, du Affe. Salva geht schweigend weiter, doch dann spricht der Wärter mit obszönen Worten über Ana, er versetzt Salva einen weiteren Stoß, und da schlägt Salva zurück. Der Wärter ruft nach seinen Kollegen, helfende Hände greifen ein, der Afrikaner ist ja ein wildes Tier, es dauert eine Weile, bis es niedergerungen ist, man drückt es ein bisschen zu Boden, man stellt sich ein wenig auf es drauf, man stopft ihm halt das Maul, damit es nicht so laut brüllt, oje, jetzt atmet es nicht mehr. Wir können nichts dafür, Euer Ehren, wir sind für solche Fälle leider überhaupt nicht geschult, Euer Ehren, Herzversagen aufgrund einer angeborenen Herzschwäche, wird es im Gutachten heißen, die Sachlage ist völlig klar, das Urteil, ich sehe es ganz deutlich vor mir, wird eine Woche Hausarrest für die drei Beamten lauten. Das ist ja unerhört, protestieren sie, das ist völlig unverhältnismäßig, wir sind Justizopfer, ihre Anwälte legen Berufung ein, das Urteil wird schließlich auf drei Tage bedingtes In-der-Ecke-Stehen herabgesetzt. Ich lasse mir meine Beamten nicht schlechtreden, sagt die Bundesabschiebeministerin, als eine Zeitung das Urteil als milde bezeichnet, meine Beamten haben nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, Punkt, aus, Ende.
Punkt, aus, Ende, Salva ist tot. Er floh aus dem Sudan, um dem Tod durch mordende Milizen zu entgehen, in Österreich hat ihn der Tod eingeholt. Die Uniformen sind andere, doch das Ergebnis ist das Gleiche. Tot ist tot ist tot. Gestorben ist Salva übrigens schon vor einigen Tagen, Ana hat jedoch erst heute davon erfahren, als sie ihren Mann im Gefängnis besuchen wollte. Salva Minnawi, hamma net. Achso, warten’s, des ist doch der, der gstorbn is, oder? Ich möchte gerne Worte des Trostes für Ana finden, doch ich suche vergebens. Pitra hält sie weiter im Arm, Pitra schafft es schließlich auch, sie zum Essen zu überreden, danach wird Ana ruhiger.
Das Begräbnis findet eine Woche später auf dem Zentralfriedhof statt. Mindestens zweihundert Leute sind gekommen, die meisten davon aus unserem Haus, andere kommen von außerhalb, sind Vertreter verschiedener Organisationen, auch ein paar Zeitungen haben ihre Blitzlichtgewittermacher geschickt, zwei Fernsehkameras richten ihren durchdringenden Blick auf die Gesichter Anas und ihrer Kinder, sie heften sich auch an Manus Tränen. Keiner kann sich seine heftige Reaktion erklären,
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