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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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meine Schwestern schreien, ich höre das Lachen der Soldaten, meine Mutter bettelt und fleht, der Soldat am Eingang bohrt mit Daumen und Zeigefinger in der Nase. Ich blicke mich um, werfe einen Blick auf die Fenster an der Seite des Hauses, doch ich weiß, sie sind zu klein, um durchzuklettern. Der einzige Weg ins Haus führt durch die Tür. Vielleicht könnte ich den Soldaten ablenken, überlege ich, doch was dann? Was kann ich gegen die anderen bewaffneten Männer ausrichten? Ich stehe wie gelähmt an der Ecke, plötzlich, vielleicht durch irgendein Geräusch aufgeschreckt, blickt der Soldat in meine Richtung. Ich ziehe den Kopf zurück, doch zu spät, er hat mich gesehen. Ich drehe mich um, renne auf den hölzernen Schuppen hinter dem Haus zu, ich höre den Soldaten hinter mir, es fällt ein Schuss – – – und ich wache auf.
    Es ist kurz nach vier Uhr morgens, Djaafar schnarcht leise, ansonsten ist es ruhig im Zimmer. Ich stehe auf, gehe in die Küche, hole mir etwas zu trinken, und es dauert lange, bis ich danach wieder einschlafen kann.
    Nicoleta kehrt auch am nächsten Tag nicht zurück, doch die Besorgnis hält sich diesmal in Grenzen. Sie kommt sicher bald wieder, genauso wie letztes Mal, versucht Zakia beim Abendessen Djamila und auch sich selbst zu beruhigen. Sie weiß allerdings nicht, was ich weiß, und mir lässt die Geschichte mit dem räudigen Russen keine Ruhe. Nachdem alle inklusive Zakia sich auf ihre nächtlichen Traumpfade begeben haben, setze ich mich an den Computer und gebe die Internetadresse ein, die auf dem Blatt mit Nicoletas Foto am unteren Rand zu lesen ist. Nachts ist die Benutzung der Computer eigentlich nicht erlaubt, nachts ist außer schlafen, und das allein und mit Keuschheitsgürtel, eigentlich gar nichts erlaubt, doch wenn man nur leise genug ist, dann sind der Freiheit kaum Grenzen gesetzt. Websites mit pornografischen Inhalten sind selbstverständlich gesperrt, aber natürlich ist es für mich ein Leichtes, diese Sperre zu umgehen. Und der räudige Russe hatte recht – es gibt nicht nur ein Bild von Nicoleta, sondern mindestens zwanzig oder fünfundzwanzig, gratis und in gar nicht so übler Auflösung. Nicoleta in allen möglichen und unmöglichen Posen, Nicoleta allein, Nicoleta mit verschiedenen ungustiösen bis widerlichen Männern, Nicoleta mit Spermaspuren im Gesicht, Nicoleta mit einem Gesichtsausdruck, in dem sich Angst, Benommenheit, Traurigkeit und erzwungene Fröhlichkeit, aber nicht die geringste Erotik mischen. Ach, Nicoleta, mein armes Kind, wo bist du da hineingeraten!
    Am nächsten Tag will ich mir erneut den Russen vorknöpfen, der in Wahrheit natürlich ein Tschetschene ist, kann ihn aber im ganzen Haus nicht finden. Ich versuche es auch an den folgenden Tagen, doch er scheint aus Angst vor mir das Weite gesucht und auch gefunden zu haben. Nicoleta ist hingegen zwei Tage später wieder da. Hast du wieder Bruder getroffen, fragt Afrim beim Mittagessen. Nicoleta schüttelt den Kopf. Und Brief von Mama hast du auch mit, stochert er weiter. Nicoleta, die gedankenverloren an einem Stück Brot kaut, schüttelt wieder den Kopf. Zum Glück läutet in diesem Augenblick Afrims Telefon, zum Glück für Nicoleta, zum Glück aber auch für ihn selbst, sonst hätte ich wohl wieder meine Rechte zu pädagogischen Zwecken in Anschlag bringen müssen. Komme gleich, bellt er mit vollem Mund in den Hörer, lässt den üblichen Saustall auf dem Tisch zurück und verschwindet.
    Ein paar Tage später kommt mir dann der Zufall zu Hilfe. Ich bin im Betreuerbüro und unterhalte mich mit Haluk, als ich auf dem zweiten, gerade unbesetzten Schreibtisch Nicoletas Akte liegen sehe. Ich reagiere blitzschnell und bitte Haluk um einen neuen Schreibblock. Der alte ist schon voll mit Vokabeln und Übungen, lüge ich wie gedruckt. Sehr fleißig, lobt mich der Halunke und dreht sich um, öffnet die Tür zu einem der Schränke, und schon greife ich mit schwarzen Langfingern nach der Akte. Zum Glück habe ich ein Buch und eine Zeitung dabei, zwischen denen ich die gelbe Mappe verbergen kann. Ich bedanke mich artig für den Notizblock und verlasse mit einem munteren Lied auf den Lippen den Tatort.
    Auf einer Parkbank unweit des Hauses mache ich es mir bequem und öffne den Ordner. Maria Nicoleta Cubreacov also, geboren am 23. März 1989 in Chisinau, damals Sowjetunion, heute Republik Moldau, Mutter Krankenschwester, Vater unbekannt. Seit 1992 wohnhaft in Tiraspol, Transnistrien, sechs Jahre Schule

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