Molly Becker 01 - Hilfe, ich bin reich
Fingerzeig, und dann sehen sie ihn: lang, dünn, grau und nackt lugt er hinter der Sofaecke hervor.
Der markerschütternde Schrei von Frau Kellermann ist das Stichwort für Lissy. Sie nimmt drei Schritte Anlauf und hechtet wie ein Fallschirmspringer hinter das Sofa. Dann schwingt sie ihren Wischmopp und zieht voll durch. Einmal. Zweimal. Dreimal.
Gebannt verfolgen wir, wie der eklige Rattenschwanz bei jedem Hieb zuckt, dann macht Lissy eine schnelle Bewegung mit dem Mopp, und auf einmal ist der Schwanz verschwunden.
Lissy steht keuchend hinter dem Sofa und starrt mit angewidertem Gesicht zu Boden.
»So, das müsste reichen«, schnauft sie und greift nach der Plastiktüte. Sie bückt sich, es gibt ein Geraschel, dann wuchtet sie den Beutel, in dem sich jetzt etwas von der Größe eines fetten Meerschweinchens befindet, aufs Sofa. Plötzlich ruckt ihr Kopf zu uns herum, als würde sie sich jetzt erst wieder daran erinnern, dass sie gar nicht allein ist.
Sofort streicht sie sich die Haare aus dem Gesicht und setzt ein fröhliches Lächeln auf: »Alles wieder in Ordnung. Wenn Sie dann mit der Besichtigung fortfahren wollen …«
»Oh mein Gott!« Frau Kellermann ist kreidebleich und sieht aus, als würde sie jeden Moment zusammenklappen. »Ist das … war das etwa eine Ratte ?«
»Ach, das …« Lissy zuckt unbekümmert die Schultern. »Also, Ratte würde ich das nicht nennen … Es war eine Maus, ja, genau, eine kleine, vorlaute Maus.«
Jetzt hat auch Herr Kellermann seine Sprache wiedergefunden: »Das darf doch wohl nicht wahr sein«, entrüstet er sich. »In diesem Haus gibt es Ratten? Kein Wunder, dass die Bude keiner kaufen will.«
»Das war doch keine Ratte«, lache ich künstlich. »Wie Lissy schon sagte, das war bloß eine Maus, nichts, weswegen Sie sich Sorgen machen müssten.«
»Eine Maus ?« Frau Kellermann zeigt mit bebenden Lippen auf den Beutel. »Dieses Riesenvieh da soll eine Maus sein?«
Lissy und ich taxieren den Beutel mit unseren Blicken. »Also, im Vergleich zu den anderen …«
»Im Vergleich zu den anderen? Heißt das, Sie hatten hier schon öfter solche Monster?«, kreischt Frau Kellermann mit einem hysterischen Flackern in den Augen.
»Na ja, dann und wann taucht mal eine auf.« Lissy nimmt den Wischmopp in die Hand und beginnt die Kerben auf dem Schaft zu zählen. »Mist, Molly, ich brauche einen neuen Wischmopp, auf dem hier ist kein Platz mehr.«
»Gut, kriegst du«, murmle ich. Dann wende ich mich freundlich an die Kellermanns: »So, dann zeige ich Ihnen noch die Schlafzimmer …«
»Die Schlafzimmer? Was erwartet uns denn dort? Godzilla? « Herr Kellermann legt schützend den Arm um seine Frau. »Nein, ich denke, wir haben genug gesehen.«
»Sagen Sie bloß, Sie haben Angst vor einer harmlosen Maus.« Lissy schüttelt verständnislos den Kopf.
»Angst? Ich?« Herr Kellermann feuert einen entrüsteten Blick auf sie ab. »Unsinn! Wir finden das Haus nur allgemein etwas zu … klein. Genau, es ist zu klein, nicht wahr, Martha?«
Seine Frau guckt verwirrt. »Wieso zu klein? Das ist doch mindestens doppelt so groß wie unser Haus. Was sage ich, dreimal so …«
»Egal, es gefällt uns jedenfalls nicht«, fällt Herr Kellermann ihr grob ins Wort. »Guten Abend noch, die Damen.« Damit packt er seine Frau am Arm und schleift sie Richtung Ausgang. Bevor sie jedoch die Tür erreichen, reißt Frau Kellermann sich plötzlich von ihm los und dreht sich zu uns um.
»Eines muss ich euch noch sagen, Mädchen …« Sie sieht uns mit einer Mischung aus Respekt und Stolz an. »In diesem Rattenloch zu leben, das erfordert wirklich Mut. Da könnte sich so mancher Kerl etwas abgucken von euch.«
»Puh, das ist gerade noch mal gutgegangen«, atmet Lissy auf, als sie weg sind.
»Ja, diesmal war es verdammt knapp.« Ich lasse mich neben ihr aufs Sofa plumpsen. »Hat Rudi was abgekriegt? Den hast du ja ordentlich verdroschen, er tat mir richtig leid.«
»Es musste doch überzeugend wirken«, verteidigt sich Lissy, während sie Rudi aus dem Beutel zieht.
Rudi ist eine Plüschratte mit einem ekligen, langen Gummischwanz. Irgendwie sieht er trotzdem cool aus, weil er eine Brille trägt und aus seinem Mundwinkel eine Zigarette hängt.
»Oje, die Brille ist verbogen«, stellt Lissy fest. »Und die Zigarette ist auch abgegangen.«
»Halb so schlimm«, beruhige ich sie. »Die Brille lässt sich wieder geradebiegen, und das Rauchen wollte ich ihm sowieso abgewöhnen.«
Wir kichern, doch dann wird
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