Moloch
Tonfall. »Hey, Billy, hier ist dein Dad. Alles bei mir cool, ich hoffe, bei dir läuft auch alles gut.«
Danach sitze ich einfach rum. Ich möchte nicht so ein alter trauriger Sack sein. In der Zeitung lese ich, dass der Kongress die Steuersätze ändern will, um die Belastung der jüngeren Steuerzahler zu senken. Großartig, danke auch.
Ich kehre in Jazzas Zimmer zurück, und schauen nach ihm. Es ist erst Nachmittag, aber er schläft wie ein Baby.
Jazza war einmal so cool. Es ist gut, wenn man jemandem um sich hat, mit dem man früher in der gleichen Gegend lebte. Selbst wenn er einen nicht mehr erkennt.
Damals kamen wir auf die Idee, eine Rakete zum Mars zu schicken. Wir bauten sie eigenhändig, fuhren nach Nevada und schossen sie ab. Sie flog in den Himmel, und für eine Weile war es wie 1969, eine Zeit voller Hoffnung.
Wir machten so was Ähnliches wie Musik, gründeten unsere eigene Firma, entwickelten ein paar Computerspiele, nannten uns »Fighting Fit« und verkauften die Firma. Wir betrieben Datenklau und teilten uns eine Weile dieselbe Freundin. Nachdem wir das ganze Geld verloren hatten, plünderten wir dieselben Konten. Amateurraumschiffe werfen nun mal keinen Gewinn ab.
Schließlich beschloss ich, bürgerlich zu werden, und stieg in die Sicherheits-Software ein. Eine Zeit lang führte ich ein solides Leben. Jazza nicht. Hin und wieder besorgte ich ihm einen Auftrag, den er als freier Mitarbeiter erledigte. Als Bill aufs College ging, sah ich nach, was Jazza so trieb. Er saß mit fünfzig immer noch hinter einem Mischpult, trug eins dieser schreiend bunten Hemden, die ständig das Motiv wechseln, oder erzählte den Freaks, welche angesagte Musik er gerade in der Mache hatte.
Ich hacke auch Jazzas Rechnung. Sonst würde er jetzt draußen auf der Straße sitzen.
Eine Weile bleibe ich bei ihm, nur um mich zu vergewissern, ob alles mit ihm okay ist oder ob er irgendetwas braucht. Er schnarcht. Ich tätschele sein Knie und gehe. Manchmal wird man einsam.
Als ich in mein Zimmer zurückkehre, wartet eine Nachricht auf mich. »Dad, du weißt es wahrscheinlich schon, aber Bessie ist überfallen worden. Ich schaue morgen bei dir vorbei.«
Bessie ist meine Enkelin. Ich wünsche Ihnen, dass Sie niemals einen so ereignisreichen Tag erleben.
Am nächsten Morgen machten wir Neurobic.
Man hat herausgefunden, dass auch alte Leute noch neue Nervenbahnen entwickeln können. Erhält man zusätzlich eine PDA-Therapie, geht es sogar noch schneller, aber man muss am Ball bleiben, um Fortschritte zu machen.
Also müssen wir lernen. Die Betreuer lassen uns verrückte Sachen machen. Wie uns die Zähne mit der falschen Hand zu putzen. Oder auf einem Bildschirm Texte zu lesen, die auf dem Kopf stehen. Manchmal verlangen sie völlig bescheuerte Dinge von uns, zum Beispiel, an Vanillebohnen zu schnuppern, während wir klassische Musik hören. Sie versuchen, einem Synästhesie zu verpassen.
Heute hatten wir eine VR-Sitzung – Virtuelle Realität. Wir waren schwerelos in einer brennenden Raumstation, mussten durch dichten Rauch entkommen, und es gab weder Oben noch Unten. In welche Richtung soll man die Türklinke drücken?
Jemand zupft mich am Ärmel. Es ist der Junge. Er lächelt mich richtig freundlich an. »Mr. Brewster? Ich Sie gesucht. Ihr Sohn hier.«
In letzter Zeit gehe ich wie Frankenstein auf diesen künstlichen kleinen Beinen. Sie zwingen die Muskeln zur Arbeit, damit sie sich wieder aufbauen. Niemand soll mir beim Aufstehen helfen. Der Junge tut es trotzdem. Vermutlich betrachtet er mich wie einen alten Großvater, und das ist seine Art, mir Respekt zu bekunden.
Ich stelle ihn meinem Sohn vor. »Joao, das ist mein Sohn, Bill.«
Bill erhebt sich, schüttelt ihm die Hand und dankt ihm dafür, dass er sich um mich kümmert. Mein Junge ist fünfzig Jahre alt. Er hat einen dicken Bauch, aber er sieht immer noch wie ein Bursche aus, der nie einen Tag in einem Büro verbracht hat.
Bill ist wirklich ein netter Kerl. Ein guter Junge, nur dass er nie Geld verdient hat. Früher hat er den Sommer über als Tauchlehrer gearbeitet, im Winter zog er in den Süden. Er hat in der Grundschule auf den Hebriden unterrichtet und eine Weile auf Sri Lanka Computer-Chips in Elefantenhirne verpflanzt.
Heute jedoch wirkt sein Lächeln gequält.
»Wie geht es Bessie?«, frage ich ihn.
Irgendetwas passiert mit seinem Gesicht, und er setzt sich. »Ähm… Hast du nicht die Nachrichten gesehen? Es kam in den
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