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Moloch

Titel: Moloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville , Michael Moorcock , Paul di Filippo , Geoff Ryman
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die Flussmitte gesteuert und war auf dem Weg in Richtung Downtown. Die silbernen Wellen spiegelten funkelnd das Sonnenlicht wider.
    Die ersten Tage auf dem Wasser empfand Diego als idyllisch. Es war ein Urlaub von allen Sorgen und Konventionen, denn auf der Fahrt wurde alles geboten, was Diego gefiel: gutes Essen, starke Getränke, anregende Gespräche sowie vergnügte private Nächte mit der unvergleichlichen Volusia Bittern, zusammengekauert in ihrer winzigen Kabine wie verliebte Tauben in einem Nest. Seine einzige Aufgabe bestand darin, regelmäßig einen Reisebericht von einigen tausend Wörtern Länge zu schreiben, die immer dann (per U-Bahn-Kurier) versandt wurden, wenn die Yann an der Helling einer fremden Gemeinde andockte und Kohle und andere Vorräte an Bord nahm.
    Die sich ständig verändernde, aber insgesamt stets ähnliche Landschaft der Stadt zog an ihrem Schiff vorüber wie ein sich ewig drehendes Zyklorama. Mit der Präzision eines Uhrwerks verkündete Captain Dassault über die Bordlautsprecher gut jede Stunde den Namen der Gemeinde, die sie soeben passierten: »Pergola… Kinderly… Mousterian Point… Shiloh… Clovisford… Mercosur… Oudville… Bridgewater… Frumentious… Candlemas… Smithtown… Gavrankapetanovicbourg…?« Mit der Zeit erzeugte die anhaltende Litanei ein hypnotisches Gefühl der Entfremdung. Ihre Reise würde sich über zweitausendfünfhundert verschiedene Namen erstrecken! Schon nach den ersten Dutzend schien die Heimat unglaublich weit entfernt.
    Eine Abwechslung von der Monotonie der Landschaft erfolgte in Höhe des 10224001. Blocks, doch es war keine erfreuliche Abwechslung. Hier wurden die Reisenden Zeuge der schlimmsten Art von Ghettoblock: Ein Feuer hatte eine komplette Gemeinde dem Erdboden gleichgemacht und nur verkohlte Reste übrig gelassen. Die Passagiere konnten geradewegs hinüber bis nach Jenseits der Gleise blicken, was angesichts des Fernen Ufers gleich hinter ihnen eine beunruhigende Anomalie darstellte. Captain Dassault sprach den Namen der Gemeinde – Cresspandit – besonders ernst aus. Auch wenn die Verwüstung schon bald weit hinter ihnen lag, beschäftigte das trübselige Spektakel die Reisenden in ihrem Herzen noch eine ganze Weile.
    Das Wetter bot eine erfreulichere Vielfalt. Stürme brauten sich in den kalten, undurchdringlichen Nebeln am Fernen Ufer zusammen und traten von Zeit zu Zeit aus ihnen hervor, um dann seitlich über den Fluss zu treiben, ehe sie landwärts über die Stadt zogen. Während die brodelnden, knisternden Turbulenzen über die Yann hinwegzogen, trat die Crew fast hektisch in Aktion, und die Passagiere zogen sich unter Deck zurück, wo sie sich behaglich Gesprächen und Erfrischungen widmeten.
    Diego fand, dass seine Mitreisenden eine interessante Truppe waren. Ihr Anführer Bürgermeister Jobo Copperknob entpuppte sich als weitaus mehr als nur der lärmende, von seinem Ego getriebene, auf größtmögliche Beliebtheit bedachte Mensch, der er oftmals zu sein schien, wenn er in der Öffentlichkeit auftrat. Der einstige Athlet ließ eine ehrlich gemeinte Selbstlosigkeit im Dienst an seiner Gemeinde erkennen, als er erklärte, welchen Nutzen er sich von dieser Reise versprach: neue Kunstwerke, neue Produkte, neue Ansichten. Copperknob, der sich mit KF bestens auskannte, lieferte Diego zahlreiche Diskussionen von der Art, die ihm gefiel, nämlich zum Thema Fantasie. Stundenlang konnten sie über die Verdienste verschiedener Autoren und über ihre Geschichten debattieren.
    Tolkan Sinsalida, der Meisteringeniator des Bürgermeisters, konnte ebenfalls Diegos volle Aufmerksamkeit auf sich lenken. Der Mann mit den leuchtenden Augen, klein und dünn, die Glatze von einem komisch wirkenden grauen Haarkranz umrandet, besaß einen Verstand, der in Praxis und Theorie seines Fachs gleichermaßen bewandert war. Er fesselte Diego mit langen Abhandlungen, die den blamablen Zustand der Technologie der Stadt betrafen, und mit den Aussichten auf Veränderungen und Verbesserungen.
    »Weil wir diese künstliche Umgebung, in der wir uns befinden, nicht gebaut, sondern nur geerbt haben – jedenfalls deuten alle Aufzeichnungen darauf hin –, befinden wir uns in der Position von Kindern, denen man einen Radioempfänger zeigt, damit sie ihn gründlich betrachten können, und die dann dazu aufgefordert werden, aus einem Wirrwarr unbeschrifteter Teile dieses Gerät nachzubauen. Die Theorie hinter so vielem, was die Stadt angeht, ist fort. Wir besitzen

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