Moloch
Werkstätten selbst), umspült vom Salz des Deltas und Silikaten in neuer Konzentration, machten tüchtige Männer Kristallglas. Und derweil diese Zufallsalchimisten in dümmlicher Ehrfurcht auf die weiße, weiß glühende Masse gafften, die sie geschaffen hatten, mischten ihre Geldgeber in der Stadt der Kanäle Zinn und Quecksilber und machten die Haut.
Es trug sich zu, vor langer Zeit, dass wir in ein Land verstoßen wurden, worin wir die Herren waren. Nur stellenweise, wo es Wasser gab, existierten Verzerrungen, vereinzelte Flecken, zu denen wir dann und wann gerufen wurden, um unsere Grimassen zu schneiden. Dann tauchten einmal hier, einmal dort befindliche kleine Leimruten auf, die ersten Spiegel, doch wenn wir ihnen ausweichen konnten, wenn wir nicht in den Sog gerieten und uns an jemanden aus Fleisch und Blut gefesselt fanden, vermochten diese uns nicht zu halten. Ansonsten stand es uns frei, unser Refugium, unser Gefängnis, nach eigenen Vorstellungen auszuschmücken, zu formen, darin zu wohnen, nur manchmal erspäht von euch durch eure kleinen Gucklöcher, jene Stellen, die uns in eure Gestalt saugten und bannten. Der Rest unserer Welt gehörte uns, und ihr hättet sie nicht erkannt.
Und dann die Haut.
Glas demokratisierte. Obwohl wir dagegen ankämpften, obwohl wir alles taten, damit es arkan bleiben möge. Innerhalb weniger Jahrhunderte war Glas Massenware, und die Haut, der Belag aus Metall auf seiner Rückseite, ebenfalls. Selbst wenn nachts das Licht ausging, blieben wir in die Zwangsjacke eurer Gestalt geschnürt. Eure Welt war eine Welt versilberten Glases. Eine Spiegelwelt. In jeder Straße tausend Fenster, um uns einzufangen; ganze Gebäude mit Glas umhüllt. Wir blieben in eure Form gegossen. Keine Minute gab es und nicht ein Plätzchen, wo wir anders sein konnten als ihr wart. Kein Entkommen, keine Rast, und ihr arglos, nichts ahnend von unserer Leibeigenschaft.
Wir in die Enge getrieben, in den Wahnsinn.
Einst, vor Hunderten von Jahren, gab es einen Raum aus Spiegeln in Isfahan. Der Palast in Lahore war ausgekleidet mit Muranoglas. Wie furchtbar!, dachten wir, als diese Bauwerke entstanden. Wir starrten uns an, die wir an jenem Ort gefangen waren, unsere zersplitterten Leiber, Dutzende von uns in derselben Gestalt, Dutzende gebannt, wenn eine Person diese Räume betrat. Was haben sie getan? Und dann kam Versailles. Unser Fluch. Unser Ort des Grauens. Ein entsetzlicher Kerker. Schlimmeres kann es nicht geben, dachten wir damals in unserer Einfalt. Dies ist die Hölle.
Versteht ihr? Könnt ihr begreifen, weshalb wir kämpfen mussten?
Jedes Haus wurde Versailles.
Jedes Haus ein Spiegelsaal.
In ihrem Lager in Hampstead Heath, ausreichend weit entfernt vom gefährlichen Stadtzentrum, ließen die Soldaten die Disziplin ein wenig schleifen. Wer nicht Wache hatte, spielte Karten, rauchte, las, hörte Kassetten.
Den Raum zwischen den kleinen Zelten füllte ein Sammelsurium von Ausrüstungsgegenständen und Möbelstücken, teils reparaturbedürftig, teils in gutem Zustand. Stapelbare Plastikstühle und Holztische, die aussahen wie aus Klassenzimmern entwendet, standen unordentlich herum, dazu Kisten und Kästen, alles von den Unbilden des Wetters gefleckt.
Zivilisten waren zu der Einheit gestoßen, Londoner Bürger, die kämpfen wollten. Die Berufssoldaten sprachen mit ländlichem Akzent, verständigten sich kurz und knapp im Militärjargon, handhabten ihre Ausrüstung mit lässiger Vertrautheit. Die anderen, Männer und Frauen in zusammengewürfelten Uniformen, die beim Hantieren mit ihren Waffen eine befangene Sorgfalt an den Tag legten, waren die Neuzugänge.
Sholl sah ein Mädchen im Teenageralter, das zur Hose ihres Kampfanzugs ein Robbie-Williams-T-Shirt trug. Ungelenk hob es das Gewehr an die Schulter, während ein vierschrötiger Veteran aus Manchester ihr gutmütig erklärte, wie man richtig zielt. Ein Grüppchen Halbstarker ließ sich von einem billigen Kassettenrekorder, der die Bässe schluckte, mit Hip-Hop beschallen, während sie über Stadtpläne gebeugt im Slang der südlichen Bezirke Londons diskutierten.
Der kommandierende Offizier versorgte Sholl mit Bier und einer Mahlzeit und ließ ihn schlafen. Sholl war erstaunt über das Ausmaß seiner Erschöpfung. Bevor der Offizier ging, unterhielten sie sich, in ganz allgemeiner Weise, über den Krieg. Sholl achtete darauf, nichts über sein Vorhaben verlauten zu lassen, sich nicht selbst vorzugreifen. Doch was er sagte
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