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Moloch

Titel: Moloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville , Michael Moorcock , Paul di Filippo , Geoff Ryman
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ihn sodann unter Einsatz ihres Lebens zu retten, denn: Er war zu den Vampiren hineingegangen und lebendig wieder herausgekommen.
    Die Soldaten beherrschten ihr Metier. Er hatte nicht gemerkt, dass man ihn beschattete, dass aufmerksame Augen jeden seiner Schritte beobachteten. Der kommandierende Offizier war viel zu klug, viel zu vorsichtig, um sich von Fremden über den Löffel halbieren zu lassen, mochten sie auch mit feurigen Zungen reden. Doch Sholl hatte etwas vermittelt, nicht Autorität, wie gehofft, aber etwas, das den Offizier veranlasste, einen Spähtrupp loszuschicken, um Genaueres über ihn in Erfahrung zu bringen. Und als sie sahen, was er zu tun vermochte, schüttelten sie ihre ehrfürchtige Erstarrung ab und kamen, um ihn zu retten.
    Nun ja, genau genommen hatten sie ihn nicht gerettet. Er war nicht in Gefahr gewesen, im Gegensatz zu ihnen. Und, überlegte Sholl, dass er notgedrungen allein losgezogen war, wie er hatte annehmen müssen, hatte ihm bewiesen, dass er ohne Hilfe zurechtkommen konnte, wovon er vorher nicht überzeugt gewesen war. Er war nicht scharf darauf gewesen, die Probe aufs Exempel zu machen, doch man hatte ihm keine andere Wahl gelassen. Und nun, da er wusste, dass er die Soldaten nicht brauchte, waren sie bereit, auf seine Karte zu setzen.
    Und würde er sie zurückweisen, jetzt? Aber keineswegs!
    In Gedanken mit der Aufgabe beschäftigt, die noch vor ihm lag (dabei tanzte er, links ein Bier und rechts ein belegtes Brot in der Hand, geistesabwesend mit einer der Frauen), sinnierte Sholl, dass er längst nicht alle Gefahren kannte, die ihm unterwegs drohten. Von den zu Wegelagerern verkommenen letzten Londonern, von Seiten der Imagos. Möglicherweise verlor er seine Aura der Unangreifbarkeit, oder wie immer man das Unwägbare nennen wollte, das ihn gegen Angriffe feite. Vielleicht traf er Imagos von einer Art, mit der er noch nicht zu tun gehabt hatte, und die keine Scheu davon abhielt, ihn in Stücke zu reißen.
    Dazwischen kreisten noch andere Überlegungen, andere Gründe, die dafür sprachen, die Soldaten als Verbündete anzunehmen. Aber sie waren verschwommen und schwer zu greifen, und er hatte keine Lust, sie genauer zu analysieren. Ringsumher hörte er derweil, wie über ihn geredet wurde.
    Teufelskerl ist auf sie los, und sie haben den Schwanz eingezogen!
    er hatte keine Angst, sie hatten die Hosen voll
    trauten sich nicht, ihn anzufassen
    wie nix an ihnen vorbei
    haben nicht gewagt, ihn anzutippen
    Sholl wusste, was mit ihm passierte, in den Augen der Soldaten, er sah die Verwandlung, die ihm widerfuhr. Sie gaben sich Mühe, ihn nicht anzustarren. Sie musterten ihn verstohlen, doch er konnte ihr Mienenspiel lesen. Sie waren neidisch – manche so sehr, dass daneben keine andere Regung mehr Platz hatte. Doch bei den meisten überwog das Gefühl ehrfurchtsvoller Bewunderung.
    Diese Entwicklung bereitete ihm Unbehagen; in unwillkürlicher Auflehnung wurde seine Ausdrucksweise vulgärer, sein Tanzstil lasziv. Der Verstand sagte ihm, dass er das Gefühl in ihnen nicht auslöschen konnte. Es war zu formlos und unartikuliert, um es mit Argumenten zu entkräften, und sie würden empört abwehren, wenn man ihnen Heldenverehrung unterstellte. Aus einem anderen Blickwinkel gesehen, konnte ihre neue Haltung gegenüber seiner Person ihm nur recht sein. Er hatte darauf gebaut. Angenehmer wurde es dadurch nicht.
     
    Sholl besaß nun die Autorität, um den Soldaten Befehle zu erteilen und er konnte damit rechnen, dass sie ihm gehorchten. Ihm war klar, er durfte ihnen nicht zu viel verraten. Unausgesprochenes und Geheimnisse waren wichtige Elemente des Bildes, das in ihren Köpfen von ihm entstand, aber sein Unbehagen über ihre kaum verhohlene Verehrung machte ihn redselig.
    So erklärte er dem Kommandanten, das Ziel läge in südlicher Richtung, laut genug, dass die Soldaten es hören konnten. Er formulierte in der Art eines Vorschlags und versetzte den Offizier dadurch in die Lage, sich an seine Leute zu wenden und selbst Befehle zu geben. Sholl tat so, als sähe er sich nur als Berater, und alle spielten mit.
    Keiner fragte ihn, weshalb Süden. Er war in die Unterwelt hinabgestiegen und wiedergekehrt, blutend, mit dem Wissen. Die Theatralik des Bildes verursachte ihm Zahnschmerzen.
    Ohne dass Sholl je ausdrücklich über ihr Ziel und Vorhaben referiert hatte, bewirkte der Lagertelegraf, dass in weniger als einem Tag alle eine vage Vorstellung hatten, einen verschwommenen Begriff von dem

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