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Moloch

Titel: Moloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville , Michael Moorcock , Paul di Filippo , Geoff Ryman
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Wohin und zu welchem Zweck. Sie wussten, dass da etwas auf sie wartete und dass es dagegen zu kämpfen galt, als Guerilla. Sholl versuchte gar nicht erst herauszufinden, wie dieses Etwas in ihren Köpfen aussah. Ihr Eifer genügte ihm. Er hatte ihnen eine Aufgabe gegeben, und sie waren überglücklich.
    Alle wussten, der bevorstehende Einsatz war ein Himmelfahrtskommando; einige von ihnen würden dran glauben müssen. Ihr Weg führte in das Zentrum Londons, in die todbringenden Straßen. Wenn sie nach einem frühen Aufbruch am Abend bis Camden Town gekommen waren, knapp zwei Meilen weit südlich, wollte Sholl zufrieden sein. Damit wäre die Hälfte des Wegs geschafft. Dann am nächsten Tag noch einmal die gleiche Strecke, und sie hatten den Einsatzort erreicht und würden bei Dunkelheit eindringen. So der Plan.
    Ein bestimmte Kopfzahl durfte nicht überschritten werden, zu viele Leute waren eine Belastung, aber der Auswahlprozess erwies sich als diffizile Angelegenheit. Es gab zu viele Freiwillige für die Mission, und diejenigen, auf die das Los fiel, die zurückbleiben sollten, um Flüchtlinge in Empfang zu nehmen und die Stellung zu halten, reagierten gekränkt und ließen sich nicht beschwichtigen von billigen Phrasen wie, ihre Aufgabe sei die wichtigste und edelste überhaupt. Zu guter Letzt – Sholl hielt sich von der Prozedur fern – war der Trupp zusammengestellt. Drei Fahrzeuge, jedes besetzt mit sechs Soldaten. Ein paar Maschinengewehre auf Lafetten, ein Raketenwerfer, eine Hand voll Granaten. Sholl, dazu der Kommandant, zwölf Männer und vier Frauen. In der Mehrzahl handelte es sich um Berufssoldaten, die übrigen waren jung und zäh. Eine Elitetruppe. Behangen mit dem, was sie an schusssicherem Zeug und Waffen hatten. Einem unbenennbaren Impuls folgend, beschloss Sholl, sich ihre Namen nicht zu merken.
    Um sechs Uhr morgens setzten die Jeeps sich in Bewegung, rollten unter den Bäumen hervor durch das Spalier der Kameraden, die angetreten waren, um Lebewohl zu winken. Sholl hatte, während er seine Habseligkeiten zusammensuchte, aufmerksam und unauffällig beobachtet: So gut wie keiner von denen, die ihn begleiten sollten, machte viel Tamtam beim Abschied. Man schlug Freunden, dem oder der Liebsten markig auf die Schulter, als ginge es nur auf eine der gewohnten, alltäglichen Patrouillenfahrten.
    Bevor Sholl einstieg, drehte er sich um und ließ den Blick über die morastige Lichtung wandern, die flatternde Wäsche, die Kochstellen, die tristen Zelte, die Flüchtlinge, die Grünschnäbel und Veteranen. Er hob die Hand, sehr langsam, musterte die ihm zugewandten Gesichter. Ihr werdet mich nicht Wiedersehen, dachte er. An ihren Mienen konnte er ablesen, dass sie es wussten.
     
    Gleich am ersten Tag merkte Sholl, dass er gut daran getan hatte, nicht auf Begleitung zu verzichten. Ihre Route war gefährlich. Die Alternativen waren noch um einiges schlimmer – Primrose Hill war durch und durch untertunnelt von einem riesigen, wurmähnlichen Imago, Kentish Town war eine Ödnis aus Hitze und ausgeglühten Häusern, versengt von einem Spiegel-transitierenden Schwelbrand. Camden aber, ihr Ziel, war der Tummelplatz apokalyptischen Gesockses, der übelsten Gauner aus den Reihen der Händler des erstorbenen Marktes, der am wenigsten politisch motivierten seiner Punks. Sie hatten ihre eigene Brutalisierung zum Kult erhoben, ihre Piercings und exotischen Frisuren auf die Spitze getrieben und gaben sich erfundene Stammesnamen aus Mad Max 2.
    Die Anspannung stieg beim Überschreiten der Stadtgrenze. Der kleine Konvoi rollte im Schritttempo die Straße entlang, flankiert von Soldaten zu Fuß, die sich in knappen Worten Beobachtungen zuriefen und die Fenster der oberen Stockwerke im Auge behielten. Sie brauchten mehrere Stunden für die Fahrt durch die engen Straßen. Jede größere Einmündung wurde ausgekundschaftet, jeder mögliche Schlupfwinkel durchsucht und gesichert.
    Zweimal sichteten sie Imagos: einmal ein Gebilde, das kurzzeitig eine Form annahm, die an einen Schwarm Vögel gemahnte, das andere ein leuchtender Glanzpunkt auf dem Asphalt. Das Vogelschwarm-Wesen musterte sie, furchtlos, aber uninteressiert, bevor es kindlich unbeholfen davonstakste. Das andere umkreiste sie (sie suchten hektisch den Boden ab, um den Fleck unnatürlicher Klarheit im Auge zu behalten), näherte sich mit raubtierhafter Beiläufigkeit. Sholl schickte sich an, ihm in den Weg zu treten, auf seine Macht vertrauend, doch punktgenau

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