Moloch
du gegangen, eingedrungen in unser lichtloses Heim. Sie drückten sich beiseite vor dir.
Ich musste zuschauen. Ich war kein Teil dieses Geschehens. War vergleichbar einem zahnlosen Rädchen in einem Getriebe, ein Rädchen, welches sich dreht, aber nicht greift, nichts bewirkt. Sie wollten dich nicht berühren, und mein Zorn wuchs. Ich fragte sie wieder und wieder, Warum?, flüsternd, in unserer Sprache, in eurer Sprache, und von jedem meiner Gefährten, den ich fragte, erhielt ich als Erwiderung nur ein unbestimmtes, wortloses Ausweichen.
Sie wollten mir nicht sagen warum, weil ich es hätte wissen sollen.
Lange Zeit glaubte ich, auch mir müsste es, genau wie ihnen, unmöglich sein, dich anzufassen. Dann, als du am Fuß der Treppe angelangt warst und anfingst, uns zu bedrohen (Was konntest du wollen? Was hofftest du zu finden?), fühlte ich eine Kraft über mich kommen, genau wie die Kraft, die mich erfüllte, als ich den Spiegel bersten sah und den Schreck des Wesens, das mich verhöhnte, und ich erkannte, es war nicht so, dass uns ein Tabu auferlegt war, sondern Meinesgleichen wollten dich nicht berühren. Ich hingegen empfand keine solche Scheu.
Es behagte ihnen nicht. Zwar machten sie keine Anstalten, mich zurückzuhalten, aber es behagte ihnen nicht, und sie schauten voller Unbehagen zu. Doch ich war zu aufgebracht, um dich zu schonen, einen der herkommt, als wäre es nicht sein Tod.
Ein hinterhältiger Trick war das, mich zu blenden und diesen abscheulichen Kopf zu verletzen, den ich hasse, der mich einsperrt. Ich empfand keine Schmach – ich bin nicht wie ihr, und dein flüchtiger, zufälliger Sieg bedeutet nichts, weniger als nichts, weniger als ein Lufthauch. Ich empfand keine Schmach, aber ich hatte Angst, und nicht vor dir (was konntest du tun, außer vielleicht mich töten, was nur eine neue Erfahrung gewesen wäre?), sondern vor Meinesgleichen, und nicht vor ihnen selbst, sondern vor ihrem plötzlichen neuen Credo, dem Credo, dass sie dich nicht berühren mochten.
Sie schauten zu, wie ich Hand an dich legte, meine Finger deinen Hals umschlossen, doch sie machten keine Anstalten einzugreifen. Sie warteten einfach, dass du gehst.
Es war ein Ärgernis.
Ich vermochte den Ausdruck nicht zu deuten, der auf dein Gesicht trat, als ich dir eröffnete, was du wissen wolltest. Ich habe ihn mir viele Male ins Gedächtnis gerufen. Ich habe ihn rekonstruiert und Meinesgleichen überredet, ihn nachzuahmen, um ihn noch einmal vor Augen zu haben. Er bleibt mir rätselhaft. Ich weiß nicht, was du denkst. Deine Miene schien mir Freude auszudrücken, aber auch – ist das Grauen? Angst natürlich (diese ist unweigerlich vorhanden, wann immer ich sehe, dass Gefühle eure Züge verzerren), doch ich bin überzeugt, dass ich auch Grauen dort lese.
Was wirst du tun? Ich frage mich, was du vorhast.
Nach wie vor rätsele ich, weshalb sie eine Hemmung hatten, dich zu berühren, und ich nicht.
Wir verbrachten eine kurze Weile zusammen, und ich hasste dich von Anfang bis Ende, dennoch wünsche ich dich zurück. Ich möchte herausfinden, was sie davon abhält, dich zu berühren.
Manchmal überlege ich, was von dir Meinesgleichen möglicherweise bereit wären zu berühren.
Gesetzt den Fall, ich breche dich auf für sie, wie ein Stück Wild, ob sie dann ihre Zurückhaltung aufgeben? Ist deine Haut das Hindernis? Wenn ich dieses beseitige – denn mir macht es nichts aus, sie anzufassen, deine Haut –, würden sie dein feuchtrotes Inneres betasten? Deine verborgenen Stellen, die verletzlichen, pulsierenden Dinge, die euch in Gang halten?
Dagegen spricht, dass du es nicht überleben würdest, und auch wenn ich dich hasse, ich bin aufrichtig daran interessiert, die Grenzen zu erfahren. Deshalb werde ich dich unversehrt lassen und weiter meine Fragen stellen. Einer von Meinesgleichen wird mir antworten, früher oder später. Weshalb sie dich nicht berühren mögen.
Sie meiden mich nicht. Ich habe sie beobachtet, nach Anzeichen von Ablehnung gesucht. Als ich begriff, als ich sah, wie die Dinge standen, wie es sich verhielt, schaute ich danach aus, doch ist nicht zu merken, dass sie sich von mir abwenden.
Seit du hergekommen bist und ich dich berührte und sie es nicht taten, habe ich mich weiter und weiter entfernt. Ich spüre, wie Mauern wachsen. Um mich. Ich war ein Teil von etwas, glaubte ich, doch eine nach der anderen fühlte ich die Verbindungen zerbrechen. Mehr und mehr spürte ich mich selbst, war mehr und
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