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Moloch

Titel: Moloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville , Michael Moorcock , Paul di Filippo , Geoff Ryman
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schaute – nicht in die ihrer Reflexion, sondern ihre eigenen Augen – und stumm mit den Lippen Obszönitäten formte, sie Fotze, Fotze, Fotze nannte, während ihr Mann seine Zeitung las und ab und zu aufschaute und lächelte.
    Schließlich fragten sie Sholl, was er gesehen hatte, wie er es merkte. Er schüttelte den Kopf.
    »Nichts«, antwortete er. »Nichts Ungewöhnliches ist passiert. Es verweigerte mir nicht den Gehorsam. Eines Tages bin ich aufgewacht, und es war verschwunden.«
     
    Sehr bald danach waren sämtliche Spiegelbilder verschwunden. Manche waren in der Gestalt ihres letzten Peinigers aus dem Rahmen getreten, manche in hybrider Form, aber sie alle waren fort, und nichts war mehr zu sehen hinter dem Spiegelglas.
     
    Der zweite Tag war leichter als der erste. Sie rückten in Etappen vor und nicht auf direktem Weg: Sholl hatte Gerüchte über etwas gehört, das in der Euston Station hauste. Um diese Gefahr zu umgehen, wandten sie sich dorthin, wo St. Pancras und King’s Cross in stumpfem Winkel zusammentrafen. Es lebten überraschend viele Menschen in dieser früher unersprießlichen Gegend. Eine kleine Kommune war entstanden, zirka fünfzig Leute wohnten zusammen in dem ehemaligen WHSmith in der King’s Cross Station. Sholl wusste von weiteren, ähnlichen Gemeinschaften an und zwischen den hinter dem Bahnhof strahlenförmig auseinander laufenden Gleisen: Um Ziegelhaufen und Schuppen herum war eine Zeltstadt gewachsen, durchwuchert von Gras und Unkraut in dieser breiten Kerbe mitten in der Stadt.
    Die Soldaten unterhielten sich mit den Einheimischen, feilschten um Dosenbier und -limonade, bestaunten die kleinen, handbeschriebenen Zettel, die als Währung in Umlauf waren. Die Leute hier waren wachsam, aber nicht verängstigt. In dem Bereich zwischen Pancras Road und York Way gab es etwas, einen Genius Loci, der den Imagos nicht zusagte und sie fern hielt. Sholl atmete tief ein und wünschte sich, er könnte bleiben.
    Nomaden aus Clerkenwell wären in der Gegend, berichteten die Einheimischen. Allgemein herrschte eine Tendenz, irgendwelchen Mystikern nachzulaufen und eine solche Gruppe hauste ganz in der Nähe, und die Soldaten sollten vor denen auf der Hut sein.
    Mit dieser Warnung versehen, zogen sie weiter nach Süden, unter Beachtung aller gebotenen Vorsichtsmaßnahmen, bis sie die terrassierte Betonlandschaft des Brunswick Centre erreichten. Dort warteten sie zwei Stunden in dem zentralen Hof, aber die Sekte, vor der man sie gewarnt hatte, verzichtete auf einen Auftritt.
    Die Soldaten wappneten sich. Das Ziel dicht vor Augen, sank ihnen der Mut, bekamen sie Angst weiterzugehen, die Mission zu vollenden. Sholl musste, ohne es zu wollen, an den Asymmeten denken, der ihm den Weg verraten hatte. Warum hatte dieser als Einziger ihn berührt?
    Sholl und seine Soldaten warteten so lange wie möglich, schwelgten in der Kameradschaftlichkeit der kurzen Reise, die sie gemeinsam unternommen hatten, und als sie den Aufbruch nicht mehr weiter hinauszögern konnten, nahmen sie die letzte Etappe in Angriff. Vorbei an den entwurzelten Bäumen des Russel Square, den Bedford Place hinunter, neuerdings gesäumt von Statuen, welche die Imagos überall in der Stadt gesammelt und in gleichmäßigen Abständen hier aufgestellt hatten, in Haltung und Gebärde drastisch verändert: Nelson, von seinem Sockel gerissen und hysterisch lachend, »Bomber« Harris Wasser lassend. Dahinter beschrieben sie einen Schwenk nach rechts, ihrem Ziel entgegen.

 

     
    Ich dachte nicht, dass ich so lange fortbleiben würde, so weit gehen. Oder stimmt das? Ist es so?
    Ich dachte – ich denke, ich dachte – dass ich Meinesgleichen verlassen sollte und andere suchen, mich in dieser veränderten Stadt umsehe und ihren Vororten und verstehe. Dann wieder einer von uns bin, meine Türen öffne. Und ich habe Meinesgleichen allerorts gesehen, in all ihren Erscheinungsformen, die Asymmeten – Asymmeten wie ich einer bin – in ihren Gefängniskörpern, die anderen Imagos in jeder Gestalt, die ihnen beliebt. Es ist nicht gerecht, dass wir, denen der Ausbruch gelang, wir mit dieser großen Kraft, die Vorhut in diesem Krieg, weniger profitieren als die schwächeren, denen wir den Weg bereiteten.
    Wie der Fisch aus dem Spiegel. Er ist jetzt General, doch er war schwächer, nehme ich an, als wir, die wir vorangingen.
    Wohin ich gehe, bin ich bei meinem Volk. Auch euch sehe ich. In Ecken und Winkeln, huschend und stöbernd, wo wir euch noch nicht

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