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Moloch

Titel: Moloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville , Michael Moorcock , Paul di Filippo , Geoff Ryman
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feilzuhalten. Er hatte einen Plan.

 

     
    Sie müssen es gewusst haben. Ohne jeden Zweifel haben sie die Wahrheit gewusst. War es ein Spiel? War es ihnen egal?
     
    Für lange Zeit nach der Vertreibung der Imagos ins Exil hatte ihre Welt keine Ähnlichkeit mit der euren. Außer an Orten mit spiegelnden Wasserflächen herrschten gänzlich andere Formen, andere Dimensionen. Für sehr lange Zeit. Erst der Imperialismus der Spiegelhaut, die weltweite Spekularisation, raubte der anderen Welt den Spielraum, anders zu sein. Nach dem ästhetischen Empfinden der Imagos geformte Bereiche wurden kleiner und weniger. Das nach eurem Vorbild Kopierte breitete sich aus.
    Man fand Möglichkeiten, den Schaden in Grenzen zu halten. Wenn eine Frau in Rom einen Schminkspiegel zur Hand nahm, musste dann das gesamte Imago-Universum schwanken wie ein Schiff im Sturm? War es unumgänglich, dass ein Mensch vor einem Fenster dreißig Imagos im Bann hielt? Man fand Lösungen. Es gibt Mittel und Wege, auch im Gefängnis.
    Lasst die Spiegel wandern, zwischen den Welten pendeln. Lasst sie den Raum krümmen, so dass ein einziges Imago, fraktal, vielen von euch und doch jedem einzeln gegenübersteht. Von Kaprice zu Präzision.
    Die Grundordnung des Gefängnisses wandelte sich von dem Ideal größtmöglicher Freiheit, geschmälert von gelegentlicher, willkürlicher und drakonischer Ungemach, zu Reglementierung und Einschränkungen, und Freiheit gab es nicht mehr. Die Ausbreitung der Spiegel machte diese Entwicklung unausweichlich. Ich sehe das nun. Ich habe es verstanden. Vorher habe ich es nicht gewusst. Mit der tumben Dynamik des Spiegels konfrontiert, entwickelte man eine neue Strategie, und sie drückte der Imagowelt ihren Stempel auf.
     
    Ich fiel, ich zerriss die Wasseroberfläche, die Spiegelhaut, und stürzte auf einen steilen Hang, rollte weiter, um nicht von der Schwerkraft zurückgezogen zu werden und mich auf der anderen Seite im Wasser treibend wiederzufinden.
    Dann lag ich still und atmete Spiegelluft. Ich zitterte.
    Ich stieg einen Pfad hinauf, staunte über das Gefühl von Erde unter den Füßen, die Farbe des Nachthimmels, die Bäume. Ich ließ mir Zeit beim Gehen. Ich hatte Angst vor dem, was ich vorfinden könnte. Ich bohrte die Zehen in den Grund. Ich lauschte dem Wind. Ich trat aus dem Wald heraus und machte mich auf den Weg zur Stadt,  .
     
    Rechts ist hier links und links rechts, folglich steht auf den Schildern  und  . Davon abgesehen ist die Stadt hüben wie drüben die gleiche. Nachdem auch der kleinste Winkel nicht mehr von Spiegeln verschont blieb, resignierten die Imagos endlich und erschufen eine komplette Reflexion.
    Mir stockte der Atem bei meiner Ankunft – bei meiner Wiederkunft, bin ich versucht zu sagen, obgleich es falsch wäre. Mir kommt es vor, als hätte man von London einen Löschblattabdruck gemacht, und ich bewegte mich in dem Papier.
    Ich spaziere durch Islington – man wird es müde, auf den Spiegelnamen zu beharren – und an den Eisenbahngleisen entlang in Richtung Kensal Rise. Die Sonne geht hinter mir auf, an der falschen Seite des Himmels. Ich nehme an, ich bin heimgekehrt.
    Dieser Ort ist jetzt mehr London als das echte London. Man sieht hier keine Veränderungen, keine Imago-Absonderungen, keine Spuren des Krieges. Hier ist es so, wie es dort war. Nirgends wüten Brände. Hier ist nur der stille graue Himmel, leer, auf der falschen Seite des Spiegels. Ein lebloses Ebenbild. Sehr oft verursachen meine Füße das einzige Geräusch weit und breit.
    Die Imagos sind fort, im Rausch der Freiheit durch die offene Tür gestürmt, Genugtuung heischend und Emanzipation. Die Fauna der Spiegel ist fort. Vögel gibt es hüben nicht, gab es nie, lediglich Kopien aus Imago-Materie. Keine Ratten. Keine urbanisierten Füchse, keine Insekten. Doch seltsam, gänzlich leer ist die Stadt nicht.
    Ich bin nicht der Einzige und nicht der Erste. Auch andere haben den Weg hierher gefunden. Ich habe Bewegung gesehen, am Straßenrand, in den reflektierten Bäumen kletternd. Sehr vereinzelt, Männer und Frauen, atavistisch in grobem Wollzeug und Fellen, hasten sie durch die Straßen, aber nicht als wären es Straßen. Ich kann nicht erkennen, ob es abtrünnige Imagos sind oder geflohene Menschen. Manche Vampire müssen ihre fleischliche Hülle zu sehr hassen, um die Gemeinschaft mit denen ihrer Art ertragen zu können, und für jeden Menschen wäre dieser Ort ein Refugium.
    Sie alle sind meine Mitbewohner. Sie

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