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Moloch

Titel: Moloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville , Michael Moorcock , Paul di Filippo , Geoff Ryman
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der Musterschau eines Gefängnisses – darin offenbarte sich eine bittere Ironie, aber nachvollziehbar.
    Der Fisch aus dem Spiegel hatte im Britischen Museum sein Hauptquartier aufgeschlagen. In dessen Herz, hatte der Vampir Sholl gesagt. Inmitten der Artefakte von Männern und Frauen aus den präkolumbischen Amerikas, aus dem Osten, aus dem antiken Griechenland und Ägypten. Greifbare Kultur, die nachzuahmen die Imagos gezwungen gewesen waren, wo immer sie reflektiert wurde. Der Fisch aus dem Spiegel lebte in Fluren, gemacht aus Zeit und Kerkerluft, und zelebrierte seine Freiheit.
    Sholl hatte nicht in Erfahrung bringen können, was ihn sonst noch im Innern des Gebäudes erwartete. Nichts, womöglich. Man sah keine Bewegung auf den weißen Stufen, auf dem Rasen vor dem Gebäude. Das Portal stand offen.
    »Lasst mich allein gehen«, sagte Sholl leise vor sich hin, von einem Moment zum anderen absolut überzeugt, dass es so sein musste und nicht anders.
    Als er es laut wiederholte, laut genug, dass man ihn hörte, erhoben sie Einwände, respektvoll zuerst, aber bald mit großer Heftigkeit.
    »Sie können da nicht allein reingehen«, schrie der Offizier ihn an, und Sholl blaffte zurück, er könne verdammt noch mal hingehen wo immer er wolle, allein oder nicht. Die Soldaten führten moralische Argumente gegen ihn ins Feld – das ist nicht Ihr Kampf, wir brauchen das, Sie werden uns nicht herumkommandieren –, und ihm blieb nichts anderes übrig als der Rückzug auf die messianische Rolle, die man ihm aufoktroyiert hatte. Er redete eindringlich und bezog sich vage auf Dinge, die er nicht preisgeben durfte. Er sprach im Ton gerechten Zorns. Er empfand Verachtung für sich selbst, wegen seiner Komödie, doch unterschwellig auch Stolz, weil er versuchte, sie zu retten. Als er schließlich brüllte, er werde allein gehen, allein!, bot er alle Autorität auf, die sie ihm gegeben hatten, und sie waren betroffen und schwiegen.
    Sholl wandte sich ab, stieg durch das zerbrochene Schaufenster und stand allein auf der Straße, für alle Welt sichtbar, unbewaffnet. Er demonstrierte den Soldaten, was nur er tun konnte.
    Es war tiefe Nacht, der Mond übergoss ihn mit Silberglanz. Sholl drehte sich zu seinen Gefährten in der Dunkelheit des Supermarkts herum und flüsterte ein paar Abschiedsworte zu ihnen hinüber. Sie sollten versöhnlich und herzlich klingen, doch er sah nur vorwurfsvolle Enttäuschung in ihren Gesichtern. Ihr versteht es nicht, dachte er und hob die Hände zu einer im weitesten Sinne als segnend zu interpretierenden Gebärde. Dann ging er schnell davon, über die Russell Street, durch das Eingangstor und den Kiesweg entlang, vorbei an den öffentlichen, grünspangescheckten Skulpturen auf dem Rasen. Er war auf dem Gelände, er war drinnen und er ging noch schneller auf die Treppe und das Portal zu, das weit offen stand und Schwärze enthüllte. Er war noch nie so voller Angst gewesen, noch nie so aufgeregt.
    Auf halber Treppe hörte er hinter sich eilige Schritte. Er fuhr herum, bestürzt, rief bleibt zurück, ehe er überhaupt sah, wer ihm folgte. Es waren der Kommandant und die meisten seiner Leute.
    »Wir lassen Sie nicht allein gehen«, schrie der Offizier, dabei hielt er die Pistole auf Sholl gerichtet, aber so, dass man nicht sagen konnte, ob er ihn bedrohen wollte oder beschützen.
    Sholl lief auf ihn zu. Das Auftauchen der Soldaten kam für ihn nicht überraschend, und ihm schlug das Gewissen. Im Näherkommen sah er, wie der Ausdruck auf ihren Gesichtern sich veränderte. Ihre Mienen verrieten blankes Entsetzen, weit aufgerissene Augen stierten auf das, was das Museum ausspie.
    Sholl vernahm ein Brausen in seinem Rücken, doch er schaute sich nicht um, nur sein Schritt stockte, als die angreifende Macht ihn überholte. Am Fuß der Treppe machte er Halt und warf die Arme auseinander, wie um eine Flutwelle aufzuhalten. Aber die Imagos strömten an ihm vorbei, ergriffen von einer Raserei, wie er sie noch nie beobachtet hatte, und stürzten sich auf die Soldaten.
    Sie waren gewandet in ein Flackern, eine stroboskopische Sequenz von Gestalten, von Personen quer durch den Lauf der Menschheitsgeschichte, Stakkatomanifestationen ihrer erfahrenen Unterdrückung. Sie waren ein Wind aus Feuersteinhauern, von Pharaonen, von Samurai, von amerikanischen Schamanen und Phöniziern und Byzantinern, Helmen mit stoischen Gesichtern und zerspellten Rüstungen und Tierzahnhalsbändern und Schleiern und Gold. Sie kamen als

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