Moloch
unschlagbar. Und nichts ist mit der klassischen Royal Albert Hall zu vergleichen.« Ihre prächtige Mascara bröselte wie blauer Schutt auf die feuchte Theke und vermischte sich mit Aschekrümeln. Ein ziemlich unmögliches Grinsen brach durch ihr Lippenrouge. Es strafte ihre gepuderten Wangen Lügen, es ließ ihren Hals rissig werden und verpasste ihren Augen dunkle Schatten. Es holte etwas zurück, das Jerry seit Anfang der siebziger Jahre nicht mehr gesehen hatte. »Geht es deinem Dad gut?«, erkundigte er sich.
»Nun, er arbeitet regelmäßig. Er hat nämlich in den Staaten einen Job. Sie haben ein wahres Vermögen darauf verwandt, um The Two Towers zu produzieren. Dann brachte jemand das Empire State Building zum Einsturz. Und schon nimmt der Tourismus wieder zu. Sie brauchen ihn wegen seines Akzents. Da drüben lieben sie uns. Sie glauben, wir stehen auf ihrer Seite.« Sie wandte sich um und wischte den Staub von ihrem Bild von Margaret Thatcher mit seinem rotweißblauen Rahmen. »Aber die Dinge sind nicht mehr so wie früher, oder? Ich hatte vor, nach Hastings umzuziehen. Oder vielleicht nach Worthing? Was meinst du?«
»Meiner Mum gefiel Worthing besser«, sagte Jerry. »Sie liebte die auf Neger geschminkten Sänger im Delaware Pavillon. Oder war es in Bexhill?« Mittlerweile lief alles unter London-on-Sea, wodurch es viel einfacher wurde. Indische Restaurants und rassistische Verlosungen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Yardies Hove übernähmen.
Fast wieder ganz der Alte, zündete er sich eine Shermans an. Er befand sich wieder auf vertrautem Terrain. So musste es sein. Das große Finale. Er genoss es in vollen Zügen. »Nach dieser Sache suche ich mir was Kleines im Lake District, wo ich mich zur Ruhe setzen kann. Ich habe genug vom internationalen Tourismus. Das wird mein letztes Feuerwerk.« Auf ihren unbehaglichen Blick hin fügte er hinzu: »Natürlich werde ich heimkehren, um zu sterben. Um eins zu werden mit dem Beton, dem ich entsprang. Aus Beton werden wir geboren, und zum Beton werden wir zurückkehren. In einer anständigen Stadt darf man alt werden und sterben, ohne dass darum viel Aufhebens gemacht wird. Und wenn man es genau betrachtet, gibt es außer London keine richtige Stadt mehr.«
Sie war an sein Selbstmitleid gewöhnt. »Nun ja, wenigstens hast du dich nicht allzu sehr verändert. Bist du wieder im Seminar?« Sie kostete mit der Zungenspitze den Geschmack ihrer Lippen und betrachtete kritisch seinen rasierten Schädel. »Jünger macht dich das aber nicht, weißt du. Hast du diese Skulpturen von Irrenhausinsassen im… ich glaube im Victoria and Albert war’s… gesehen? Du könntest glatt als Mörder aus dem achtzehnten Jahrhundert durchgehen.«
Jerry nickte bestätigend. »Genau da hat es für mich angefangen. Eine mickrige, halbgare Revolution nach der anderen, dann kam 1776, und alles wurde birnenförmig. Revolutionen sind Scheiße. Entweder versuchen die Menschen, alles so zu erhalten, wie es ist, oder sie wollen eine goldene Vergangenheit wieder aufleben lassen. Die Amerikaner haben erfolgreich den Gang der Zeit für über 200 Jahre aufgehalten. Sie haben es geschafft, an allem festzuhalten, wofür das England des späten achtzehnten Jahrhunderts berühmt gewesen war, als da sind der Tod durch den Strang, menschenunwürdige Gefängnisse und unanständig reiche Autokraten, die sich über das Gesetz stellen.«
»Sie können nichts dafür.« Mitzi lächelte versonnen, während sie sich erinnerte. »Sie sind ein sehr schwerfälliges Volk. Vorwiegend Teutonen, nicht wahr? Sie hassen soziale Konflikte.«
»Nun, sie lieben Marschieren und Blaskapellen. Aber das tun auch die Billy Boys. Aber Cromwell musste ja alles verderben. All das hätte innerhalb von zehn Minuten abgeschafft werden können. Doch die Menschen kämpfen nun mal todesmutig dafür, die Ketten zu erhalten, die sie fesseln.«
Mitzi schnaubte. Verschiedene Essenzen verteilten sich in der Luft um ihren Kopf. »Du denkst wohl an Tom Paine, was? Wenn du mich fragst, folgten die Kanadier als Einzige dem gesunden Menschenverstand.«
Jerry schaute auf die Uhr. »Geht die richtig?«
DREI
Oliver’s Army
Die Christen hatten sich zum Sonntagsgottesdienst versammelt, und die Schüler äußerten Interesse daran, sich den Gottesdienst anzusehen, und der Meister stimmte zu. Als sie das Gebäude betraten, erkannten der Priester und die Gemeinde sie und kamen herüber, um sie zu begrüßen. Es herrschte so viel
Weitere Kostenlose Bücher