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Moloch

Titel: Moloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville , Michael Moorcock , Paul di Filippo , Geoff Ryman
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auf, zog sein zerknautschtes Leinenjackett aus und warf es zum Tisch, wo sie ihre Drinks abgestellt hatten. »Ist es nicht erstaunlich, wie der Besitz der Atombombe einen sofort seiner moralischen Autorität beraubt?«
    Eine Zeit lang herrschte Schweigen. Aus der Ferne drang das Klatschen von Leder auf Schlagholz herüber, dazu die Hochrufe, der Applaus. Zum ersten Mal seit Jahren spielte Kaschmir wieder gegen Bengalen. Es hatte eine Weile gedauert, die beiden Mannschaften wieder aufzubauen. Aber es war unwahrscheinlich, dass es jetzt zu Gewaltexzessen kommen würde. In der Vergangenheit hatten die Menschen Spiele insgesamt viel zu ernst genommen.
    Jerry schwang sich aus der Hängematte und ging seine Zigaretten suchen. Die benutzten Gläser waren entfernt worden. Der zusammenklappbare Kartentisch war neu. Eine frische Flasche ragte aus dem Eiskübel. Zwei Gläser standen auf einem Beistelltisch.
    Hira näherte sich auf geschwächten Beinen, während er das Hemd in die Hose steckte. Er schaute blinzelnd in die Sonne. Jerry bot ihm eine Sullivan’s an.
    »Braucht man moralische Autorität, wenn man die Bombe hat?« Jerry nahm ihm gegenüber am mit grünem Filz überzogenen Kartentisch Platz. Er fischte ein frisches Kartenspiel aus einem Seitenfach, riss die Verpackung auf und fächerte die Karten auf, mischte sie, fächerte sie auf, mischte sie abermals. Er legte das Kartenspiel in die Mitte des Tisches. Hira nahm es auf und begann, von links nach rechts zu mischen.
    Er gab zu, sich ein wenig unbehaglich zu fühlen, wenn man seinen verschiedenen Göttern nicht mit dem nötigen Respekt begegnete. Trotzdem war er ein durch und durch rationaler Mensch. »Eine gewisse Autorität nehmen auch die unbedeutendsten Hausgötter für sich in Anspruch«, sagte er. »Ich bin mir nicht sicher, ob das unsere das beste Modell ist. Aber der Pantheismus ist doch wohl jederzeit dem Monotheismus vorzuziehen, oder? Du bist in einer Welt aufgewachsen, die freie Auswahl versprach, sie aber in den grundlegendsten Dingen verweigerte! Eine totale Perversion der Ideale, und welche Begeisterung dadurch beschnitten wurde. Dem großen Gott Ganesh sei Dank, das ist vorbei. Sieh dir nur an, welche Mühsal du ertragen musst, indem du stets einen schnurgeraden Weg verfolgst, ganz gleich wie die Landschaft beschaffen ist, die du durchquerst. Dies ist eine geistige Einstellung, die, um es milde auszudrücken, sehr schnell in eine Sackgasse führt.«
    »Ach, es ist nur eine Frage der Kommunikation und der Demographie.« Jerry war entschlossen, nicht mehr allzu tief in die Dinge einzudringen. »Nachrichten sind schneller unterwegs, Epochen folgen in immer kürzeren Abständen aufeinander und vergehen viel schneller, und die Generationen lösen einander sehr viel schneller ab. Ovem lupo committere.« Es war seltsam, wie seine Lateinkenntnisse wieder zurückkehrten.
    Er strich mit den Händen über den eleganten Schnitt seiner Kleidung. Er gewöhnte sich allmählich an die ständigen Wechselfälle seines Lebens. Er war zu lange der Underdog gewesen.
    Dank dem Generalsekretär der Vereinten Nationen sollte Jerry der erste katholische Gouverneur von Kaschmir werden. Er blickte über den Rasen auf seinen wunderschönen Palast, auf die weißen Stuckverzierungen, die im Schein der Abendsonne wie Marmor glänzten. Die Societas war aufgefordert worden, das Gebäude zu bezahlen. Die Einheimischen wurden vor allem von einem üppigen Lebensstil beeindruckt. Sie zollten einem dafür Achtung. Vor allem, so hatte er es dem Papst erklärt, schätzten sie eine Religion, die sich solche aufwendigen Bauten leisten konnte. Indien hatte unter den Nabobs seine Blüte erlebt. Es waren die Bürokraten, die alles verdarben.
    Dieser Job war in Wirklichkeit so etwas wie eine Art Ruhestandstätigkeit. Er war von der Liste der Aktiven gestrichen worden. Die Einheimischen kümmerten sich um den Papierkrieg und fanden sofort jeden potenziellen Konvertiten. Es gab mittlerweile immer weniger von ihnen, und der muslimische Bevölkerungsanteil nahm rapide ab. Es hatte nur zwei Übertritte zum Hinduismus gegeben. Es wäre irgendwie stillos gewesen, Hira darauf aufmerksam zu machen. Das Christentum hatte ein besonderes Geschick darin, seine Aggressionen in wirkungsvolle Hilfsmittel zu verwandeln. Diese Fähigkeit hatte offenbar etwas für sich. Er hatte sich niemals so weit von seiner Kultur distanzieren können, wie er es sich eigentlich gewünscht hätte.
    Ohne ein Wort zu sagen, saßen

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