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Momo

Momo

Titel: Momo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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halbe Stunde, um ihr eine Blume zu bringen. Wozu?“
„Sie freut sich doch immer so“, antwortete Herr Fusi, den Tränen nah. „Aber nüchtern betrachtet“, versetzte der Agent, „ist sie für Sie, Herr Fusi, verlorene Zeit. Und zwar insgesamt bereits siebenundzwanzigmillionenfünfhundertvierundneunzigtausend Sekunden.
Und wenn wir nun dazurechnen, daß Sie die Gewohnheit haben, jeden Abend vor dem Schlafengehen eine Viertelstunde am Fenster zu sitzen und über den vergangenen Tag nachzudenken, dann bekommen wir nochmals eine abzuschreibende Summe von dreizehnmillionensiebenhundertsiebenundneunzigtausend. Nun wollen wir einmal sehen, was Ihnen eigentlich übrigbleibt, Herr Fusi.“ Auf dem Spiegel stand nun folgende Rechnung:
Schlaf 441.504.000 Sekunden
Arbeit 441.504.000 Sekunden
Nahrung 110.376.000 Sekunden
Mutter 55.188.000 Sekunden
Wellensittich 13.797.000 Sekunden
Einkauf usw. 55.188.000 Sekunden
Freunde, Singen usw. 165.564.000 Sekunden
Geheimnis 27.594.000 Sekunden
Fenster 13.797.000 Sekunden
Zusammen: 1.324.512.000 Sekunden
„Diese Summe“, sagte der graue Herr und tippte mit dem Stift mehrmals so hart gegen den Spiegel, daß es wie Revolverschüsse klang, „diese Summe also ist die Zeit, die Sie bis jetzt bereits verloren haben. Was sagen Sie dazu, Herr Fusi?“
Herr Fusi sagte gar nichts. Er setzte sich auf einen Stuhl in der Ecke und wischte sich mit dem Taschentuch die Stirn, denn trotz der eisigen Kälte brach ihm der Schweiß aus. Der graue Herr nickte ernst.
„Ja, Sie sehen ganz recht“, sagte er, „es ist bereits mehr als die Hälfte Ihres ursprünglichen Gesamtvermögens, Herr Fusi. Aber nun wollen wir einmal sehen, was Ihnen von Ihren zweiundvierzig Jahren eigentlich geblieben ist. Ein Jahr, das sind einunddreißigmillionenfünfhundertsechsunddreißigtausend Sekunden, wie Sie wissen. Und das mal zweiundvierzig genommen macht einemilliardedreihundertvierundzwanzigmillionenfünfhundertundzwölftausend.“ Er schrieb die Zahl unter die Summe der verlorenen Zeit:
1.324.512.000 Sekunden
- 1.324.512.000
= 0.000.000.000 Sekunden“
Er steckte seinen Stift ein und machte eine längere Pause, um den Anblick der vielen Nullen auf Herrn Fusi wirken zu lassen. Und er tat seine Wirkung.
„Das“, dachte Herr Fusi zerschmettert, „ist also die Bilanz meines ganzen bisherigen Lebens.“
Er war so beeindruckt von der Rechnung, die so haargenau aufging, daß er alles widerspruchslos hinnahm. Und die Rechnung selbst stimmte. Das war einer der Tricks, mit denen die grauen Herren die Menschen bei tausend Gelegenheiten betrogen.
„Finden Sie nicht“, ergriff nun der Agent Nr. XYQ/384/b in sanftem Ton wieder das Wort, „daß Sie so nicht weiterwirtschaften können, Herr Fusi? Wollen Sie nicht lieber zu sparen anfangen?“ Herr Fusi nickte stumm und mit blaugefrorenen Lippen. „Hätten Sie beispielsweise“, klang die aschenfarbene Stimme des Agenten an Herrn Fusis Ohr, „schon vor zwanzig Jahren angefangen, täglich nur eine einzige Stunde einzusparen, dann besäßen Sie jetzt ein Guthaben von sechsundzwanzigmillionenzweihundertundachtzigtausend Sekunden. Bei zwei Stunden täglich ersparter Zeit wäre es natürlich das Doppelte, also zweiundfünfzigmillionenfünfhundertundsechzigtausend. Und ich bitte Sie, Herr Fusi, was sind schon zwei lumpige kleine Stunden angesichts einer solchen Summe?“
„Nichts!“ rief Herr Fusi, „eine lächerliche Kleinigkeit!“
„Es freut mich, daß Sie das einsehen“, fuhr der Agent gleichmütig fort. „Und wenn wir nun noch ausrechnen, was Sie unter denselben Bedingungen in weiteren zwanzig Jahren erspart haben würden, so kämen wir auf die stolze Summe von einhundertfünfmillioneneinhundertundzwanzigtausend Sekunden. Dieses ganze Kapital stünde Ihnen in Ihrem zweiundsechzigsten Lebensjahr zur freien Verfügung.“
„Großartig!“ stammelte Herr Fusi und riß die Augen auf.
„Warten Sie ab“, fuhr der graue Herr fort, „denn es kommt noch viel besser. Wir, das heißt die Zeit-Spar-Kasse, bewahren nämlich die eingesparte Zeit nicht nur für Sie auf, sondern wir zahlen Ihnen auch noch Zinsen dafür. Das heißt, Sie hätten in Wirklichkeit noch viel mehr.“
„Wieviel mehr?“ fragte Herr Fusi atemlos.
„Das läge ganz bei Ihnen“, erklärte der Agent, „je nachdem, wieviel Sie eben einsparen würden und wie lange Sie das Ersparte bei uns liegen lassen.“
„Liegen lassen?“ erkundigte sich Herr Fusi, „was heißt das?“
„Nun, ganz einfach“, meinte

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