Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Momo

Momo

Titel: Momo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
Vom Netzwerk:
der graue Herr. „Wenn Sie Ihre ersparte Zeit nicht vor fünf Jahren von uns zurückverlangen, dann bezahlen wir Ihnen noch einmal dieselbe Summe dazu. Ihr Vermögen verdoppelt sich alle fünf Jahre, verstehen Sie? Nach zehn Jahren wäre es bereits das Vierfache der ursprünglichen Summe, nach fünfzehn Jahren das Achtfache und so weiter. Wenn Sie vor zwanzig Jahren angefangen hätten, täglich nur zwei Stunden einzusparen, dann stünde für Sie in Ihrem zweiundsechzigsten Lebensjahr, also nach vierzig Jahren insgesamt, das Zweihundertsechsundfünfzigfache der bis dahin von Ihnen ersparten Zeit zur Verfügung. Das wären sechsundzwanzigmilliardenneunhundertundzehnmillionensiebenhundertundzwanzigtausend.“ Und er nahm noch einmal seinen grauen Stift heraus und schrieb auch diese Zahl an den Spiegel: 26.910.720.000 Sekunden
„Sie sehen selbst, Herr Fusi“, sagte er dann und lächelte zum ersten Mal dünn, „es wäre mehr als das Zehnfache ihrer ursprünglichen gesamten Lebenszeit. Und das bei nur zwei ersparten Stunden täglich. Bedenken Sie, ob dies nicht ein lohnendes Angebot ist.“
„Das ist es!“ sagte Herr Fusi erschöpft. „Das ist es ganz ohne Zweifel! Ich bin ein Unglücksrabe, daß ich nicht schon längst angefangen habe, zu sparen. Jetzt erst sehe ich es völlig ein, und ich muß gestehen – ich bin verzweifelt!“
„Dazu“, erwiderte der graue Herr sanft, „besteht durchaus kein Grund. Es ist niemals zu spät. Wenn Sie wollen, können Sie noch heute anfangen. Sie werden sehen, es lohnt sich.“
„Und ob ich will!“ rief Herr Fusi. „Was muß ich tun?“
„Aber, mein Bester“, antwortete der Agent und zog die Augenbrauen hoch, „Sie werden doch wissen, wie man Zeit spart! Sie müssen zum Beispiel einfach schneller arbeiten und alles Überflüssige weglassen. Statt einer halben Stunde widmen Sie sich einem Kunden nur noch eine Viertelstunde. Sie vermeiden zeitraubende Unterhaltungen. Sie verkürzen die Stunde bei ihrer alten Mutter auf eine halbe.
Am besten geben Sie sie überhaupt in ein gutes, billiges Altersheim, wo für sie gesorgt wird, dann haben Sie bereits eine ganze Stunde täglich gewonnen. Schaffen Sie den unnützen Wellensittich ab! Besuchen Sie Fräulein Daria nur noch alle vierzehn Tage einmal, wenn es überhaupt sein muß. Lassen Sie die Viertelstunde Tagesrückschau ausfallen und vor allem, vertun Sie Ihre kostbare Zeit nicht mehr so oft mit Singen, Lesen oder gar mit Ihren sogenannten Freunden. Ich empfehle Ihnen übrigens ganz nebenbei, eine große, gutgehende Uhr in Ihren Laden zu hängen, damit Sie die Arbeit Ihres Lehrjungen genau kontrollieren können.“
„Nun gut“, meinte Herr Fusi, „das alles kann ich tun, aber die Zeit, die mir auf diese Weise übrigbleibt – was soll ich mit ihr machen? Muß ich sie abliefern? Und wo? Oder soll ich sie aufbewahren? Wie geht das Ganze vor sich?“
„Darüber“, sagte der graue Herr und lächelte zum zweiten Mal dünn, „machen Sie sich nur keine Sorgen. Das überlassen Sie ruhig uns. Sie können sicher sein, daß uns von Ihrer eingesparten Zeit nicht das kleinste bißchen verlorengeht. Sie werden es schon merken, daß Ihnen nichts übrigbleibt.“
„Also gut“, entgegnete Herr Fusi verdattert, „ich verlasse mich also darauf.“
„Tun Sie das getrost, mein Bester“, sagte der Agent und stand auf. „Ich darf Sie also hiermit in der großen Gemeinde der Zeit-Sparer als neues Mitglied begrüßen. Nun sind auch Sie ein wahrhaft moderner und fortschrittlicher Mensch, Herr Fusi. Ich beglückwünsche Sie!“ Damit nahm er seinen Hut und seine Mappe.
„Einen Augenblick noch!“ rief Herr Fusi. „Müssen wir denn nicht irgendeinen Vertrag abschließen? Muß ich nichts unterschreiben? Bekomme ich nicht irgendein Dokument?“
Der Agent Nr. XYQ/384/b drehte sich in der Tür um und musterte Herrn Fusi mit leichtem Unwillen.
„Wozu?“ fragte er. „Das Zeit-Sparen läßt sich nicht mit irgendeiner anderen Art des Sparens vergleichen. Es ist eine Sache des vollkommenen Vertrauens – auf beiden Seiten! Uns genügt Ihre Zusage. Sie ist unwiderruflich. Und wir kümmern uns um Ihre Ersparnisse. Wieviel Sie allerdings ersparen, das liegt ganz bei Ihnen. Wir zwingen Sie zu nichts. Leben Sie wohl, Herr Fusi!“
Damit stieg der Agent in sein elegantes, graues Auto und brauste davon.
Herr Fusi sah ihm nach und rieb sich die Stirn. Langsam wurde ihm wieder wärmer, aber er fühlte sich krank und elend. Der blaue Dunst aus der kleinen

Weitere Kostenlose Bücher