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Mond der verlorenen Seelen

Mond der verlorenen Seelen

Titel: Mond der verlorenen Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Meyer
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ein gewaltiger Paukenschlag. Amber zuckte zusammen und hielt sich die Ohren zu. Das Bild wurde klarer.
    „Nein! Da ist noch ein Kind! Ein Junge!“, rief sie aus und taumelte von einem plötzlichen Schwindelgefühl erfasst.
    „Schon gut. Beruhige dich“, sagte Hermit leise und zog den Zweig sanft aus ihrer Hand.
    Amber stützte sich am Stamm ab und öffnete benommen die Augen. Die Erinnerung war so deutlich gewesen, als wäre es die eigene. „Wen habe ich da eben gesehen?“ Sie schüttelte den Kopf, um die Benommenheit zu vertreiben.
    Hermit nagte an seiner Unterlippe und seufzte. „Du hast mich gesehen.“
    „Dich? Und wer war der Junge?“
    „Mein Sohn.“
    Ein Ruck durchfuhr Amber. „Dein Sohn? Du hast ihn nie erwähnt.“
    Irgendwie passte Hermit so gar nicht in ihre Vorstellung eines Vaters und Ehemannes. Dafür war er zu eigenbrötlerisch. Andererseits besaß auch er ein Vorleben wie jeder andere.
    „Seine Mutter und er haben mich verlassen, als er fünf war. Diesen Magnolienbaum habe ich damals für Elsie gepflanzt, damit ein Teil von ihr bei mir blieb.“
    „Hast du gar keinen Kontakt mehr zu ihnen gehabt?“
    „Elsie und er haben sich nie mehr bei mir gemeldet. Eine Adresse hatte ich nicht.“
    Hermits Schultern sanken kraftlos nach vorn. Amber spürte, wie sehr er noch immer um Elsie und seinen Sohn trauerte.
    „Hast du nie versucht, sie zu finden?“
    Hermit fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. Er wirkte auf einmal erschöpft, die Ringe unter seinen Augen erschienen noch eine Nuance dunkler als sonst. „Doch, viele Jahre, aber vergeblich. Irgendwann habe ich aufgegeben. Ach, glaub mir, ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und alles ändern. Ich habe viele Fehler gemacht, den größten, Elsie gehen zu lassen.“
    „Weshalb ist sie gegangen?“
    „Sie hat Schottland gehasst, das raue Land, die Einsamkeit und ... mein Leben als Druide. Sie sagte immer, dass die Druidenlehren Gift für Colin seien. Recht hatte sie, aber damals wollte ich ihr nicht glauben.“
    Er stieß seinen Atem aus, als würde es ihn von einer Last befreien. Amber dachte an Gordon Macfarlane und musste dem Alten zustimmen.
    Hermit fasste nach ihrer Hand. Eine Weile standen sie da, jeder seinen Gedanken nachhängend, bis er das Schweigen brach.
    „Deine Fähigkeiten reifen erstaunlich, Amber. In jedem Tier, jeder Pflanze liegen für alle Ewigkeit die Erinnerungen verborgen, wie ein durchsichtiger Mantel, zu dem nur besondere Menschen mentalen Zugriff haben. Wenigen Druiden ist es möglich, diese Erinnerungen abzurufen. Mir blieb es bis heute versagt.“
    „Und weshalb kann gerade ich das?“
    Der Alte zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht.“
    „Ich kenne niemanden, der über eine solche Gabe verfügt. Wir Sterns waren immer stinknormal.“
    „Passt schon. Irgendwann wirst du vielleicht erfahren, woher diese Gabe stammt.“
    „Du weißt, jedem, dem ich davon erzählen würde, eine Geistreise in die Dämonenwelt zu machen, hielte mich für verrückt. Ich kann’s ja selbst kaum glauben. Manchmal fürchte ich mich vor meinen Gaben.“
    Aus geschlitzten Augen sah er sie an. Seine Lippen zitterten, es fiel ihm sichtlich schwer, die richtigen Worte zu finden. „Ist normal. Du wirst dir deiner Fähigkeiten nach und nach bewusst. Nimm es als ein besonderes Erbe an, das dir zuteil wird.“
    In ihrem Kopf ging sie alle Familienmitglieder durch, und das waren nicht wenige, aber keiner von ihnen wirkte irgendwie außergewöhnlich. „Ich weiß nur nicht, ob ich noch mehr Überraschungen ertragen kann.“
    Cecilias blechern klingende Stimme unterbrach ihr Gespräch. „Hermit? Randy ist am Apparat. Kommst du, oder rufst du nachher zurück?“
    „Passt schon. Ich komme. Amber, wartest du auf mich?“
    „Nein, ich muss heute Abend noch nach Edinburgh.“
    „Triffst du dich wieder mit Beth?“
    „Hatte ich vor. Sie scheint einen Job für mich zu haben. Endlich. Du weißt ja, wie lange ich auf der Suche bin. Die Chance muss ich nutzen.“
    Amber stellte sich vor, wie es Beth gelungen war, den Intendanten von ihr zu überzeugen. Bestimmt hatte sie so lange auf ihn eingeredet, bis er völlig entnervt nachgegeben hatte, um ihren Redefluss zu stoppen. Typisch Beth. Als sie sich damals kennenlernten, war auch ihr Beths Redseligkeit gehörig auf die Nerven gefallen. In der Zwischenzeit hatte sie erkannt, wie hilfsbereit Beth sein konnte und dass ihr Gerede nicht bösartig gemeint war.
    „Klar. Also, bis

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