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Mond der verlorenen Seelen

Mond der verlorenen Seelen

Titel: Mond der verlorenen Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Meyer
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zögerte einen Augenblick, als wollte sie sich nicht davon trennen, doch dann reichte sie sie Amber.
    „Danke, ich werde sie gut aufbewahren.“ Schnell steckte Amber sie wieder in ihre Tasche, bevor die schrecklichen Bilder erneut vor ihren Augen auftauchten.

-20-
    H astig ließ Amber die Brosche in ihre Nachttischschublade gleiten. Sie verließ ihr Zimmer, um zu Aidan zu gehen. Aus Kevins Zimmer schallte Heavy Metal Musik über den Flur, eines der wenigen Dinge, die sich nicht geändert hatten.
    In der Küche unterhielten sich Mom und Tante Georgia. Ihre gedämpften, aber aufgeregten Stimmen weckten Ambers Neugier. Auf Zehenspitzen schlich sie zur Tür und verharrte in der kleinen Nische daneben. Vielleicht würde Mom Tante Georgia etwas mehr über die Fibel erzählen.
    „Du hast es ihr in all den Jahren immer noch nicht gesagt?“, hörte sie Tante Georgia fragen.
    „Nein, ich konnte nicht. Es war nie der richtige Zeitpunkt.“ Mom seufzte, sie lief auf dem Holzboden umher.
    „Du musst es ihr sagen, Dana, sie hat ein Recht auf die Wahrheit.“
    Also doch. Ambers Herz schlug Takte schneller. Gebannt wartete sie auf die Antwort.
    „Ich möchte, aber ich kann nicht. Sie hat Fin so vergöttert.“
    Als Dads Name genannt wurde, verspürte sie einen Druck im Magen.
    „Willst du sie etwa ihr Leben lang belügen?“ Der Stuhl ratschte über den Boden, was Amber verriet, dass Tante Georgia aufgesprungen war.
    „Nein, ja, ich ... ach, ich weiß auch nicht, mir fehlt einfach der Mut.“ In Moms Stimme schwang tiefe Traurigkeit mit.
    „Sie wird es verstehen, wenn auch nicht gleich.“
    „Oh, nein, sie wird mir nicht verzeihen.“
    „Die Entscheidung überlass ruhig mir.“ Amber trat in den Türrahmen. Die Köpfe der beiden Frauen flogen zu ihr herum, in ihren Mienen die stumme Frage, wie viel sie gehört haben mochte.
    „Man lauscht nicht, Amber“, tadelte Tante Georgia, „das habe ich dir als Kind schon gesagt.“
    „Euer Gespräch war nicht zu überhören. Und mein Name fiel.“
    Mom sackte auf den Stuhl zurück und stützte den Kopf in die Hände. Das letzte Mal hatte Amber sie so gesehen, als Dad gestorben war. Mom und Tante Georgia schwiegen, tauschten aber Blicke miteinander aus.
    „Nun sag es ihr schon, Dana. Sie wird dir nicht gleich den Kopf abreißen.“ Tante Georgia nickte Mom aufmunternd zu.
    „Ich bin ganz Ohr, Mom.“
    Amber spürte Moms Traurigkeit und wie schwer es ihr fiel, zu sprechen.
    Es dauerte eine Weile, bis sie leise begann. „Ich habe die Fibel von einem besonderen Mann geschenkt bekommen. Deinem Vater. Deinem richtigen Vater.“
    Amber schluckte. „Meinem was?“
    „Sie meint, dass Finlay nicht dein richtiger Vater ist“, mischte sich Tante Georgia ein.
    Amber fühlte sich taub, zu keinem klaren Gedanken fähig. Ihr geliebter Dad sollte nicht ihr Vater sein? Es war, als zöge ihr jemand den Boden unter den Füßen weg. Sie lehnte sich Halt suchend an den Türrahmen.
    „Das ist nicht wahr“, flüsterte sie, während eine Träne aus ihrem Augenwinkel über ihre Wange rollte.
    „Doch Amber, es ist wahr. Finlay ist nicht dein Vater.“ Auch aus Moms Augen kullerten Tränen.
    Ihr ganzes Leben baute auf einer Lüge auf. Und sie hatte nichts gemerkt. Alle hatten sie angelogen, sie mit einer Illusion leben lassen. Selbst als Dad gestorben war, glaubte Mom, ihr nicht die Wahrheit sagen zu müssen. Wut und Enttäuschung ballten sich zusammen zu einer gefährlichen Mischung, die gleich darauf explodierte, sonst wäre sie daran erstickt.
    „Ich fasse es nicht. Du hast mich die ganzen Jahre über belogen? Und Dad auch? Und du, Tante Georgia, hast auch mitgespielt? Wie lange wolltet ihr es mir verheimlichen? Bis zu deinem Tod, Mom? Warum hast du so lange geschwiegen?“
    „Beruhige dich, Amber, lass uns erklären ...“ Tante Georgia kam auf sie zu, wollte sie trösten, aber Amber wich zurück.
    „Lass mich. Meine ach so biederen Eltern, die immer verliebt taten. War das vielleicht auch gelogen? Das hätte ich nie von dir gedacht, Mutter. Du hast mich zutiefst enttäuscht. Dabei habe ich immer an dein Vertrauen geglaubt.“
    „Amber, bitte, lass mich erklären. Die Lüge hat mich immer gequält. Gott ist mein Zeuge, wie oft ich versucht gewesen bin, dir die Wahrheit zu erzählen. Aber Fin befürchtete, du könntest ihn dann nicht mehr lieben. Er hat dich geliebt wie sein eigenes Kind. Und ich ...“
    „Den anderen anscheinend mehr. Du kannst mir nichts vormachen, ich habe vorhin in

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