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Mond der verlorenen Seelen

Mond der verlorenen Seelen

Titel: Mond der verlorenen Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Meyer
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zu Gott und raste den Anstieg hinauf. Sie kam viel zu langsam voran, denn sie fühlte, wie die Wellen der Angst immer stärker wurden und sich wie eine elektrische Wolke über ihr entluden und ihre Haut unter Strom setzten. Vor ihr lag die Wiese mit dem Menhir. Da ertönte ein gellender Schrei, der ihr durch Mark und Bein fuhr. Der Schrei einer Frau. Grausige Bilder liefen vor ihren Augen ab, wie damals, als sie dem Morden der Vampire zugesehen hatten. Amber rannte quer über die Wiese, trat in ein Loch und fiel der Länge nach hin. Fluchend rappelte sie sich auf und lief weiter. Immer wieder betete sie zu Gott, ihrem Bruder möge nichts geschehen sein. Dann sah sie vor dem einzelnen Menhir eine Gestalt auf dem Boden liegen. Daneben im Gras eine blaue Jacke und Turnschuhe.
    „Kevin?“
    Sofort stürzte sie auf ihn zu. Aber zu ihrer Enttäuschung war es eine Frau, die mit dem Gesicht nach unten am Fuß des Menhirs lag. Sie war nackt, ihr braunes Haar war verklebt. Amber hockte sich neben sie und streckte die Hand aus. Vorsichtig berührte sie mit der Fingerspitze ihre Haut. Ihr Körper war warm, aber ungewöhnlich bleich. Bilder zuckten wie Blitze vor ihren Augen, zu schnell, um sie zu erkennen, aber genug, um zu wissen, dass sie Schreckliches beinhalteten. Plötzlich kippte die Frau nach hinten, der Arm fiel schlaff nach unten. Im bleichen Gesicht wirkten die weit aufgerissenen Augen überdimensional. Der Mund war weit geöffnet, wie zu einem stummen Schrei. Amber schrie bei dem Anblick auf, bevor sie auf die Knie sank und schluchzend die Hände vors Gesicht schlug.
    „Oh, Beth.“
    Tränen rannen über ihre Wangen. Beth hier tot vorzufinden, darauf war sie nicht gefasst. Amber strich sanft über das Gesicht der Toten und schloss ihr die Augen. Ausgelöst durch diese Berührung kehrten die Bilder wieder zurück, die Beths Erinnerungen entstammten. Zuerst zog Amber ihre Hände erschrocken zurück, aber dann versprach sie sich durch ihre Gabe, mehr über Beths Tod herauszufinden. Ambers Blick fiel auf zwei blutverkrustete Punkte an der linken Halsbeuge Beths. Sie streckte ihre zitternde Hand aus und berührte diese Stelle. Sofort drängten sich Bilder auf. Beth, die in wilder Panik um sich schlug und trat. Jemand umklammerte ihre Hände und drückte sie zu Boden. Dann senkte sich ein Kopf mit dunklen Haaren über Beths Halsbeuge, spitze Zähne blitzten auf, bevor sie sich in ihren Hals bohrten. Amber konnte den Anblick nicht mehr ertragen und versuchte, ihre Hand von Beths Wunden zu lösen, aber es gelang ihr nicht, als würde sie an der Toten festkleben, die das Geheimnis ihres Todes preisgab. Amber sah, wie Beths Gegenwehr unter dem Vampir erlahmte. Ihre Augen rollten, bis sie glasig wurden und erstarrten. Erst da ließ ihr Peiniger von ihr ab. Als er sich umdrehte und Amber sein Gesicht erkannte, schrie sie vor Entsetzen auf. Mit einem Ruck riss sie ihre Finger von Beths Körper, sackte zusammen und rang nach Atem.
    Aidan hatte Beth getötet. Es war, als stieße ihr jemand einen Eiszapfen ins Herz, der alle Gefühle mit einem Mal auslöschte. Alles um sie herum begann, sich zu drehen.
    Aidan ein Mörder. Mörder, Mörder, hallte es in ihrem Kopf.
    Und doch rebellierte ihr Innerstes gegen den Verdacht.
    Samuels Worte über Aidan hallten unaufhörlich in ihren Ohren: „Vampire jagen, töten, weil sie müssen. Ohne Ausnahme. Es ist dieses unbändige Verlangen in ihnen nach Blut. Sie folgen dem Ruf der Schattenwelt. Wach auf, Amber.“
    Ja, jetzt wachte sie auf und blickte der grausamen Realität ins Auge.
    Hatte sie nicht selbst Aidans Gier gespürt, wenn sie miteinander schliefen, wie er fast die Kontrolle über sich verlor? Wie er wie ein Raubtier an ihrer Halsbeuge schnupperte, in der das Blut pulsierte. Sie war so dumm gewesen, zu glauben, mit ihrer Liebe einen Vampir zu bekehren, als sei sie eine Missionarin.
    Amber sprang auf. Deshalb hatte er ihr nicht geantwortet. Vielleicht steckte er mit dem Dämon sogar unter einer Decke, dass er ihre Sinne blockierte. Hatte Aidan vielleicht auch ihren Bruder getötet?
    Nicht Kevin. Bitte nicht ihn, flehte sie. Blind vor Tränen rannte sie um den Menhir und weiter die Wiese entlang, bis sie nicht weit entfernt ein leises Stöhnen hörte.
    „Kevin! Bist du es?“
    Amber rannte und stolperte, bis sie zu dem Gebüsch gelangte, in dem sie und Kevin sich damals beim Massaker versteckt hatten. Sie richtete den Strahl der Taschenlampe darauf und erkannte eine

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