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Mond der verlorenen Seelen

Mond der verlorenen Seelen

Titel: Mond der verlorenen Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Meyer
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deiner Miene gelesen, als du die Fibel in der Hand hieltest, wie viel er dir bedeutet hat. Dad war nur zweite Wahl, stimmt’s?“ Ihre Eltern erschienen immer wie das perfekte Paar. Sie hatte sie bewundert und jetzt das.
    „Er war niemals zweite Wahl. Fin war der gütigste Mensch, den ich kannte. Das mit deinem Vater dauerte nur einen Sommermonat. Ich war achtzehn, unerfahren und bis über beide Ohren in diesen tollen Mann verliebt. Nach einer einzigen Nacht war ich schwanger, und als ich es ihm sagen wollte, war er fort. Ich habe nie mehr etwas von ihm gehört. Dann traf ich Fin.“
    „Ich ... ich brauche Zeit“, sagte Amber.
    „Amber, bitte geh jetzt nicht, bitte, lass mich dir erklären ...“, bat Mom mit erstickter Stimme.
    „Lass uns später in Ruhe darüber reden. Ich bin jetzt zu aufgebracht und muss das Ganze erst mal verdauen. Bitte versteh das.“
    Amber drehte sich um und verließ die Küche. Sie griff ihre Jacke vom Garderobenständer und rannte hinaus. Sie musste jetzt nachdenken. Allein, um sich zu beruhigen und über alles klar zu werden, bevor sie mit Mom weiterreden konnte. Sie wollte ihr nicht noch mehr verletzende Worte an den Kopf werfen, die sie später bereute, so wie ihren emotionalen Ausbruch eben. Die Enttäuschung saß so tief, dass sie völlig durcheinander war.
    Wenig später lehnte sie an der Mauer des Castles und betrachtete den Sonnenuntergang, aber diesmal ergötzte sie sich nicht an dessen Schönheit. Bestimmt wartete Aidan auf sie, aber sie wollte und konnte jetzt niemanden sehen.
    In der Zwischenzeit war es dunkel geworden. Schritte näherten sich. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und erkannte Kevins Umrisse.
    „Ach, hier biste. Hab dich schon überall gesucht, weil ich dir was zeigen will. Ich hab ne unglaubliche Entdeckung gemacht.“ In seinem Lächeln lag Stolz, was sie wieder schmerzlich an Dad erinnerte.
    „Das geht jetzt nicht. Mir steht der Kopf ganz woanders.“ Ihr Ton klang barscher als beabsichtigt. Kevins Lächeln erstarb.
    „Hm, aber es ist wichtig. Habe was Abgedrehtes rausgefunden und will mir das mal genauer ansehen. Der Druidenorden trifft sich wieder. Wegen der Dämonen. Komm schon, lass uns nachsehen.“ Seine Hände in den Hosentaschen vergraben, suchte er ihren Blick.
    „Kevin, bitte lass mich allein. Ich habe gerade von Mom erfahren, dass ich nicht Dads Tochter bin.“
    Kevin riss die Augen weit auf. „Wie? Muss ich das jetzt verstehen?“
    „Ich bin nicht Finlay Sterns Tochter, sondern von jemand anderem. Das hat mir Mom eben gebeichtet. Kannst du jetzt verstehen, dass ich in Ruhe nachdenken muss?“
    Er nickte.
    Dennoch konnte sie ihm die Enttäuschung ansehen. Ihr Bruder zuckte mit den Achseln.
    „Wenn du jemanden zum Reden brauchst, bin ich für dich da. Du bist meine Schwester.“
    Amber klopfte ihm auf die Schulter. Tränen der Rührung standen in ihren Augen. „Danke, das Angebot nehme ich bestimmt an, wenn das Chaos aus meinem Kopf raus ist.“
    Kevin lächelte ihr aufmunternd zu, bevor er sich umdrehte und davonschlurfte.
    „Vielleicht können wir morgen deiner Entdeckung nachgehen, ja?“, rief sie ihm hinterher, aber er antwortete nicht.
    Sie hatte für heute die Nase gestrichen voll. Nach einer Weile ging Amber zu Aidan, doch er war nicht da. Gerade jetzt hätte sie seinen Trost gebraucht. Seine abendlichen Ausflüge machten sie wütend. Sie stieg die Treppe hinauf zu seinem Schlafzimmer. Vor morgen früh würde sie nicht mehr zu Mom gehen. Und auch erst morgen würde sie mit Kevin sprechen. Erschöpft ließ sie sich aufs Bett sinken und verbarg ihr Gesicht in den Kissen. Ihre Tränen waren versiegt, sie fühlte sich leer und ausgebrannt. Erschöpft schlummerte sie ein.
    Ein Klopfen, das nicht aufhören wollte, weckte sie. Verschlafen sah Amber zum Wecker. Kurz vor ein Uhr nachts. Wer zur Hölle klopfte sie aus dem Bett? Sie zog sich das Kissen über den Kopf, aber das Klopfen ließ nicht nach. Sie hörte jemanden ihren Namen rufen. Verschlafen rieb sie sich die Augen und stand auf. Gähnend schlurfte sie zur Treppe.
    „Amber!“
    „Mom? Herrgott, ich komm ja schon. Hör auf zu klopfen!“
    Mom zitterte, in ihren Augen schimmerte es feucht.
    „Kevin ist seit dem Abendessen verschwunden. Sein Zimmer ist unberührt. Ich mache mir große Sorgen. Hast du ihn vielleicht gesehen? Wo ist Aidan?“ Mom suchte über Ambers Schulter nach Aidan.
    „Sie sind beide nicht da. Ich habe Kevin vorhin draußen gesehen, ganz kurz vor dem

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