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Mond der verlorenen Seelen

Mond der verlorenen Seelen

Titel: Mond der verlorenen Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Meyer
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stimmt.“ Amber zog die oberste Schublade der Kommode auf, ein altes Möbelstück, das ihr Großvater, Mom zum achtzehnten Geburtstag gebaut hatte. Die Lade hakte, sodass sie fester daran zog. Nach mehreren Versuchen gab es endlich einen Ruck, und sie konnte die Schublade herausziehen. Amber griff nach den Handtüchern und stutzte. Obenauf lag eine metallene Brosche, filigran gearbeitet, zwei ineinandergreifende Kreise, die von einem Pfeil durchbohrt wurden. Sie war sicher, dieses Schmuckstück schon einmal gesehen zu haben.
    „Schau mal, Tante Georgia, das war der Übeltäter.“ Amber zeigte auf die Brosche, die ein wenig verbogen war.
    Tante Georgia näherte sich und betrachtete die Brosche. Sie wurde mit einem Mal ganz ernst und schwieg.
    „Hat die Brosche dir die Sprache verschlagen?“ So kannte sie ihre schlagfertige Tante Georgia nicht.
    Georgia lachte auf, aber es klang nicht echt. „Ich habe das komische Ding lange nicht mehr gesehen, zum letzten Mal, als ...“
    „Als was?“
    „Als deine Mom ihre Sachen gepackt hat, um nach Oxford zu gehen, wegen des Studiums.“
    Georgia streckte ihre Hand nach der Brosche aus. „Darf ich?“
    „Ja, klar.“
    Nachdenklich drehte sie das Schmuckstück zwischen ihren Fingern. „Hat Dad das Mom geschenkt?“
    „Nein.“
    „Wer dann?“
    „Daran soll ich mich noch erinnern? Ist schon viel zu lange her.“ Tante Georgia legte die Brosche auf die Kommode und zog zwei Handtücher aus der Schublade.
    „Du tust so geheimnisvoll, als wäre Mom fremdgegangen.“ Amber lachte auf und schob die Lade wieder zu. Georgia stimmte nicht in ihr Lachen ein.
    „Quatsch“, sagte sie nur und trug die Handtücher ins angrenzende Bad.
    „Du verschweigst mir doch nichts, Tantchen?“
    „Nein.“
    Amber hörte das Wasser im Waschbecken rauschen. „Ich geh dann mal!“, rief sie ihrer Tante zu und verließ das Gästezimmer. Allerdings nahm sie im Vorbeigehen die Brosche mit, um Mom danach zu fragen. Vielleicht gab es ja ein altes Familiengeheimnis.
    Die Brosche glühte in ihrer Handfläche. Fast hätte Amber sie fallen lassen. Sie betrachtete den Schmuck genauer. Bilder spulten sich in ihrem Kopf ab, von Schwert schwingenden Kriegern mit bemalten Gesichtern. Sie hörte ihr Kampfgebrüll. Blutige Szenen wechselten sich ab, am Fuß einer mächtigen Burganlage. Amber schüttelte den Kopf, um sich aus dem Bann der Erinnerungen zu lösen und steckte den Schmuck in ihre Hosentasche. Der Spuk endete, nicht aber das Brennen in ihrer Handfläche. Als sie die Finger öffnete, dampfte ihre Haut.
    Mom stand am Bügelbrett und summte ein Lied vor sich hin.
    „Schau mal, was ich gefunden habe.“ Amber zog die Brosche aus der Tasche und legte sie auf das Bügelbrett.
    Mom erbleichte. „Wo hast du die Fibel her?“
    „Ach, jetzt sehe ich es auch. Tatsächlich eine Fibel. Sie war im Gästezimmer in der Kommode.“
    Moms Hand zitterte, als sie nach dem Schmuckteil griff und es von allen Seiten betrachtete.
    „Die muss sehr alt sein. Wer hat sie dir geschenkt?“
    „Ich weiß es nicht mehr.“ Moms Blick richtete sich in die Ferne, als schwelge sie in Erinnerungen. Ihre Lippen zuckten. Sie log, davon war Amber überzeugt.
    „Du hast doch sonst ein gutes Namensgedächtnis.“
    „Schon, aber das liegt wirklich zu lange zurück.“
    „Das hat Tante Georgia auch gesagt. Irgendetwas stimmt nicht mit dem Teil, ich spüre das. Was ist los, Mom?“
    In Moms Augen lag ein gehetzter Ausdruck. „Nichts ist los. Ich war nur sehr erstaunt. Hatte sie in all den Jahren vergessen.“
    Mom wich ihrem Blick aus. Schon wieder eine Lüge. Amber hätte sie am liebsten geschüttelt. Aber irgendwann würde sie ihr Geheimnis preisgeben. Sie musste nur immer wieder bohren.
    „Kann ich sie vielleicht haben?“
    Moms Augen schimmerten feucht.
    „Mom, sag mir jetzt, was los ist.“
    „Nichts, ich habe eben nur an Dad gedacht. Er wollte die Fibel damals an einen Antiquitätenhändler verkaufen. Aber für mich war sie so eine Art Talisman. Von dem darf man sich doch nicht trennen. Wir haben uns fürchterlich gestritten ...“
    „Aber du hast sie dann zum Glück behalten.“
    Mom nickte und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Sie hatte Amber nie angelogen. Dennoch zerstreute es nicht Ambers Skepsis, es könnte nur die halbe Wahrheit sein. Und vielleicht war es ihr möglich, aus den Erinnerungen der Brosche zu lesen, so wie sie es ihr bei Hermits Magnolie ergangen war.
    „Kann ich sie haben, Mom?“
    Sie

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