Mond der verlorenen Seelen
Rivalen gesehen.
„Mein Handy ist da unten bei meinem Motorrad. Hier oben hab ich keinen Empfang.“
Amber nickte. Sie war froh, dass Samuel bei ihr war. Als sie sich dem Menhir näherten, hielt sie kurz inne.
„Ich glaube, mir wird schlecht.“
Sie beugte sich vornüber und drückte die Hände gegen ihren Magen. Dann übergab sie sich. Sie konnte kaum noch gerade stehen und hielt sich dankbar an Samuels Hand fest. Seine Wärme tat ihr gut.
„Da ... liegt Beth.“ Amber schloss die Augen, weil sie den Anblick nicht noch einmal ertragen konnte.
„Ich sehe niemanden.“
Samuels Antwort öffnete schlagartig ihre Augen. Die Stelle, wo sie vorhin neben Beth gekniet hatte, war verwaist. Das konnte nicht wahr sein. Amber kniff die Augen zusammen, aber es änderte nichts. Beths Leiche war verschwunden.
„Aber das kann nicht sein. Ich schwöre, eben ist sie noch hier gewesen. Ich habe hier neben ihr gekniet.“
Sie sah zu Samuel auf, dessen Miene skeptisch blieb. Aber in seinen Augen lag Mitgefühl.
„Glaubst du mir etwa nicht?“
„Doch, doch. Verrat mir, was die und dein Bruder hier oben gesucht haben? Die wollten doch nicht etwa Revenant begegnen oder haben versucht, das Tor zu öffnen?“
Sein Lachen erinnerte an die tiefen Töne eines Kontrabasses, deren Schwingungen unter die Haut gingen.
„Wie sollten sie? Es muss irgendetwas anderes dahinterstecken.“
„Vielleicht hat dein Vampirfreund sie hier raufgelockt, um leichte Beute zu machen?“
Das passte nicht zu Aidan. Oder doch? Diese verfluchten Zweifel waren einfach nicht totzukriegen.
„Das glaube ich nicht. Aidan würde das ...“
Samuel blieb vor Amber stehen, Kevin vor der Brust haltend. „Willst du nicht begreifen, dass dein Freund keine Ausnahme ist? Wird ein Vampir vom Blutdurst erfasst, muss er ihn stillen. Dann ist es ihm gleichgültig, ob es der Bruder seiner Freundin ist oder seine eigene Mutter. Er riecht nur das köstliche Blut, das er besitzen muss.“
Im Schein der Taschenlampe wirkte Samuels Gesicht furchterregend mit den bebenden Nasenflügeln und den geschlitzten Augen.
„Wie weit ist es noch bis zu deinem Motorrad? Ich glaube, Kevin geht es schlechter.“ Sie lief an ihm vorbei und leuchtete zum Waldrand.
„Auf dem Parkplatz.“
„Hm. Gut. Man könnte fast glauben, du hast Verständnis für diese blutrünstigen Bestien.“
„Und du bist mit einem zusammen. Wo ist der Unterschied?“
Treffer. Amber erwiderte nichts. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander.
„Ich habe einen Dämon gespürt“, brach Amber als Erste das Schweigen. „Er blockiert meine Empfindungen.“
„Dämon? Den hat dir bestimmt auch der Vampir auf den Hals geschickt.“
„Aber aus welchem Grund sollte er das tun?“
„Diese dunklen Geschöpfe brauchen keinen Grund. Sie sind verdorben.“
Amber wollte etwas erwidern, als Kevin plötzlich aufstöhnte und unruhig wurde. Aber Samuel hielt ihn fest, bis es aufhörte. Da erreichten sie den Parkplatz. Mit zitternden Händen zog Amber Samuels Handy aus der Tasche am Motorrad und wählte die Notrufnummer.
Alles verlief ganz schnell, bereits nach wenigen Minuten traf der Krankenwagen ein, ebenso Mom und Tante Georgia, die Amber ebenfalls angerufen hatte.
Mom brach in Tränen aus, als sie Kevin auf der Krankentrage mit blutverschmiertem Gesicht liegen sah. Als er plötzlich die Augen aufschlug, beugte sich Tante Georgia zu ihm hinab.
„Mein Lieber, du hattest gleich einen ganzen Zug Schutzengel.“
Kevins Lider zuckten, bevor sie erneut zufielen.
„Doktor, können Sie schon mehr über den Zustand meines Sohnes sagen?“ Ambers Herz krampfte sich zusammen, als sie die Furcht und stumme Anklage in Moms Augen las. Auch sie gab ihr die Schuld, das tat weh.
„Leider nein. Wir müssen ihn eingehend untersuchen.“
„Dann komme ich mit ins Krankenhaus. Ich lasse meinen Sohn nicht allein.“ Mom schluchzte und presste die Hand vor ihren Mund. Mit hängenden Schultern folgte sie dem Arzt, ohne Amber eines Blickes zu würdigen.
Sie stand wie betäubt daneben mit einem dumpfen Druck in der Brust. Das alles glich einem Albtraum. Ihre Tränen waren versiegt, aber die Augen brannten.
Mom kletterte zu Kevin in den Krankenwagen, während Tante Georgia Amber bat, in ihren Wagen einzusteigen, um zu folgen.
„Einen kleinen Moment noch“, bat Amber, als ihr bewusst wurde, dass sie in all der Aufregung Samuel ganz vergessen hatte. Sie wollte sich bei ihm bedanken, aber er war bereits
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