Mond über Manhattan
Mr. Effing. Ist ja schon gut. Ich möchte es lieber den Leuten geben, die es wirklich nötig haben.»
«Aber Sie bleiben?»
«Ja, ich bleibe. Ich nehme Ihre Entschuldigung an. Kommen Sie mir nur ja nicht noch einmal mit einer solchen Gemeinheit.»
Aus einleuchtenden Gründen zogen wir an diesem Abend nicht mehr los. Am nächsten Abend war der Himmel klar, und um acht Uhr gingen wir zum Times Square, wo wir unsere Arbeit in rekordverdächtigen fünfundzwanzig bis dreißig Minuten beendeten. Da es noch früh war und wir uns nicht so weit weg von zu Hause befanden wie gewöhnlich, bestand Effing darauf, daß wir zu Fuß zurückkehrten. An sich eine triviale Sache, die ich auch gar nicht erwähnen würde, wäre uns unterwegs nicht etwas Kurioses zugestoßen. Kurz vor dem Columbus Circle bemerkte ich einen jungen Schwarzen in etwa meinem Alter, der parallel zu uns auf der anderen Straßenseite ging. Soweit ich erkennen konnte, war an ihm nichts Ungewöhnliches. Er war anständig gekleidet, an seinem Verhalten wies nichts darauf hin, daß er betrunken oder verrückt sein könnte. Aber da ging er an einem wolkenlosen Frühlingsabend und hielt sich einen aufgespannten Schirm über den Kopf. Das war schon abwegig genug, aber dann sah ich, daß der Schirm auch noch kaputt war: das Tuch war vom Gestänge entfernt, und die nackten, sinnlos in die Luft gespreizten Speichen ließen das Ganze wie eine riesige und unwahrscheinliche Stahlblume aussehen. Der Anblick brachte mich unwillkürlich zum Lachen. Auch Effing stieß ein Gelächter aus, als ich ihm die Sache beschrieb. Seins war lauter als meins und nachte den Mann auf der anderen Straßenseite auf uns aufmerksam. Mit breitem Grinsen winkte er uns, zu ihm unter seinen Schirm zu kommen. «Wieso wollen Sie sich dem Regen aussetzen?» sagte er fröhlich. «Kommen Sie rüber, damit Sie nicht naß werden.» Sein Angebot hatte etwas so Schrulliges und Offenherziges, daß es unhöflich gewesen wäre abzulehnen. Wir überquerten also die Straße und brachten die nächsten dreißig Blocks des Broadway unter einem kaputten Schirm hinter uns. Es gefiel mir, wie selbstverständlich Effing bei diesem Spaß mitmachte. Er spielte mit, ohne irgendwelche Fragen zu stellen, er begriff intuitiv, daß solch höherer Blödsinn nur Bestand haben konnte, wenn wir alle so taten, als ob wir daran glaubten. Unser Schirmherr hieß Orlando, und er war ein begabter Komödiant: Er trippelte flink um imaginäre Pfützen, wehrte Regentropfen ab, indem er den Schirm in verschiedenen Winkeln schräg hielt, und ließ dabei ein pausenloses Feuerwerk von grotesken Assoziationen und Wortspielen vom Stapel. Es war Phantasie in reinster Form: Er erweckte nichtexistierende Dinge zum Leben, überredete uns, eine Welt zu akzeptieren, die es in Wirklichkeit gar nicht gab. Daß uns das gerade an diesem Abend widerfuhr, schien irgendwie zu dem zu passen, was Effing und ich zuvor in der 42th Street getan hatten. Eine verrückte Stimmung hatte von der Stadt Besitz ergriffen. Fünfzig-Dollar-Scheine wanderten in die Taschen von Fremden, es regnete und regnete doch eigentlich nicht, und der Wolkenbruch, der uns durch unsern kaputten Schirm überschüttete, berührte uns nicht mit einem einzigen Tropfen.
An der Ecke Broadway und 84th Street nahmen wir von Orlando Abschied, schüttelten uns alle die Hand und schworen, unser Leben lang Freunde zu bleiben. Als kleine Zugabe zu unserem Spaziergang streckte Orlando die Hand aus, um herauszufinden, wie das Wetter war, dachte einen Augenblick nach und erklärte dann, der Regen habe aufgehört. Ohne weitere Umstände klappte er den Schirm zusammen und schenkte ihn mir zum Andenken. «Hier, Mann», sagte er, «den solltest du mitnehmen. Man kann nie wissen, ob es nicht wieder zu regnen anfangt, und ich möchte nicht, daß ihr beiden naß werdet. So ist das nun mal mit dem Wetter: Es ändert sich ständig. Wer nicht auf alles vorbereitet ist, ist auf gar nichts vorbereitet.»
«Das ist wie mit Geld auf der Bank», sagte Effing.
«Ganz genau, Tom», sagte Orlando. «Steck ihn unter deine Matratze, und heb ihn dir für schlechte Zeiten auf.»
Er ballte die Faust zum Black-Power-Gruß und schlenderte davon, und als wir das Ende des Blocks erreicht hatten, war er in der Menge verschwunden.
Eine komische kleine Episode, aber so etwas kann man in New York öfter erleben, als man glaubt, besonders wenn man offen dafür ist. Daß ich diese Begegnung als ungewöhnlich empfand, lag nicht
Weitere Kostenlose Bücher