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Mond über Manhattan

Mond über Manhattan

Titel: Mond über Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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so sehr an ihrer Unbeschwertheit, sondern an der geheimnisvollen Weise, in der sie auf den weiteren Ablauf der Ereignisse einzuwirken schien. Fast hatte es den Anschein, als sei damit auf Zukünftiges hingedeutet, Effings Schicksal prophezeit worden. Neue Bilder hatten sich uns aufgedrängt, die uns fortan in ihrem Bann hielten. Speziell denke ich hierbei an Wolkenbrüche und Schirme, darüber hinaus aber auch an Veränderung - wie alles sich jederzeit, plötzlich und für immer, verändern kann.
    Der folgende Abend sollte der letzte sein. Tagsüber war Effing unruhiger als gewöhnlich, wollte weder seinen Mittagsschlaf halten noch sich vorlesen lassen und verzichtete auf jede Ablenkung, die ich für ihn zu erfinden versuchte. Am frühen Nachmittag verbrachten wir eine Zeitlang im Park, aber das Wetter war dunstig und bedrohlich, und ich brachte ihn dazu, früher als geplant nach Hause zurückzukehren. Abends hatte sich ein dichter Nebel auf die Stadt gelegt. Die Welt war grau geworden, und die Lichter der Gebäude schimmerten durch die Feuchtigkeit, als seien sie in Verbände gewickelt. Keine verheißungsvollen Bedingungen, doch da es nicht regnete, schien es zwecklos, Effing unsere letzte Expedition ausreden zu wollen. Ich dachte, ich könnte die Sache zügig abschließen und den Alten schnell wieder nach Hause zurückbringen, so daß er sich nichts Ernstliches dabei zuziehen konnte. Mrs. Hume war skeptisch, gab aber nach, als ich ihr versicherte, daß Effing einen Schirm mitnehmen würde. Dieser Auflage stimmte Effing bereitwillig zu, und als ich ihn um acht Uhr zur Tür schob, glaubte ich alles ganz gut unter Kontrolle zu haben.
    Was ich jedoch nicht wußte, war, daß Effing seinen Schirm mit dem vertauscht hatte, den Orlando uns am Abend zuvor geschenkt hatte. Wir waren bereits fünf oder sechs Blocks vom Haus entfernt, als ich dahinterkam. Effing kicherte kindisch und unergründlich in sich hinein, zog plötzlich den kaputten Schirm unter seiner Decke hervor und spannte ihn auf. Zunächst glaubte ich an ein Versehen, denn die Griffe der beiden Schirme waren einander völlig gleich, aber als ich ihn darauf hinwies, schnauzte er mich an, ich solle mich um meinen eigenen Kram scheren.
    «Seien Sie kein Trottel», sagte er. «Ich habe mit Absicht diesen hier genommen. Jeder Idiot kann sehen, daß dies ein magischer Schirm ist. Sobald man ihn aufspannt, wird man unsichtbar.»
    Ich wollte schon etwas darauf erwidern, überlegte es mir dann aber anders. Es regnete ja nicht, und mir lag nichts daran, mit Effing über hypothetische Dinge in Streit zu geraten. Ich wollte nur meine Arbeit erledigen, und solange es nicht regnete, sollte er sich von mir aus dieses lächerliche Gerät über den Kopf halten. Ich schob ihn noch ein paar Blocks weiter, gab jedem in Frage kommenden Kandidaten einen Fünfzig-Dollar-Schein, und als die Hälfte des Vorrats aufgebraucht war, überquerte ich die Straße und begann mich heimwärts zu bewegen. Und da nun fing es an zu regnen - als sei dies unausweichlich gewesen, als habe Effing die Wolken mit seinem Willen zum Regnen gebracht. Zuerst noch in ziemlich kleinen Tropfen, die von dem Nebel kaum zu unterscheiden waren, doch schon am nächsten Block war das Geniesel zu etwas Handfesterem geworden. Ich steuerte Effing in einen Hauseingang, um dort das Schlimmste abzuwarten, aber sobald wir stehenblieben, begann der Alte sich zu beschweren.
    «Was machen Sie da?» sagte er. «Eine Atempause kommt nicht in Frage. Wir haben noch Geld zu verteilen. Los, Tempo, Junge. Hüa, aufgeht’s. Das ist ein Befehl!»
    «Falls Sie es nicht bemerkt haben sollten», sagte ich, «es regnet. Und ich spreche nicht von einem Frühlingsschauer. Sondern es gießt. Die Tropfen sind groß wie Kieselsteine, und sie springen zwei Fuß vom Pflaster hoch.»
    «Regen?» sagte er. «Wieso Regen? Von Regen merke ich nichts.» Und dann gab er den Rädern seines Rollstuhls einen plötzlichen Stoß, riß sich von mir los und glitt auf den Bürgersteig. Wieder nahm er den kaputten Schirm, hob ihn mit beiden Händen hoch über seinen Kopf und schrie in das Geprassel: «Es regnet nicht!» Und der Regen rauschte von allen Seiten auf ihn nieder, durchnäßte seine Kleider und schlug ihm ins Gesicht. «Vielleicht regnet es ja Sie naß, Junge, aber mich nicht! Ich bin knochentrocken! Ich habe meinen treuen Schirm, ich bin mit der Welt zufrieden. Ha, ha! Prügelt mich, schlagt mich grün und blau, ich spüre kein bißchen!»
    Da wurde

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