Mond über Manhattan
mir klar, daß Effing sterben wollte. Er hatte diese kleine Farce geplant, um krank zu werden, und er vollführte sie mit einer Rücksichtslosigkeit und Lust, die mir glatt den Atem verschlugen. Den Schirm hin und her schwenkend, feuerte er den Wolkenbruch mit seinem Gelächter an, und sosehr ich ihn in diesem Augenblick verabscheute, mußte ich doch seinen Mut bewundern. Er glich einem zwergenhaften Lear, der in Glosters Körper wiederauferstanden war. Dies sollte sein letzter Abend sein, und er wollte seinen Abgang in wildem Taumel vorbereiten, wollte sich in einem gloriosen Schlußakt den Tod holen. Zunächst drängte es mich, ihn vom Bürgersteig zurückzuziehen und in Sicherheit zu bringen, doch dann sah ich ihn mir genauer an und merkte, daß es zu spät war. Er war bereits bis auf die Haut durchnäßt, und das bedeutete bei jemandem, der so gebrechlich war wie Effing, daß der Schaden wahrscheinlich schon eingetreten war. Er würde sich erkälten, dann käme eine Lungenentzündung hinzu, und wenig später würde er sterben. Das alles schien mir so unausweichlich, daß ich es plötzlich aufgab, dagegen anzukämpfen. Ich sehe eine Leiche vor mir, sagte ich mir; es spielte keine Rolle, ob ich noch etwas unternahm oder nicht. Seither ist kein Tag vergangen, an dem ich meine Entscheidung nicht bereut habe, doch an jenem Abend kam sie mir vernünftig vor, so als wäre es moralisch falsch gewesen, sich Effing in den Weg zu stellen. Mit welchem Recht durfte ich ihm den Spaß verderben, wenn er bereits tot war? Der Mann war wild entschlossen, sich zu vernichten, und da er mich in den Strudel seines Wahnsinns hineingezogen hatte, rührte ich keinen Finger, um ihn aufzuhalten. Ich stand einfach daneben und ließ es geschehen, ein bereitwilliger Komplize seines Selbstmords.
In den Regen blinzelnd, der mir über die Augen strömte, trat ich aus dem Hauseingang und packte Effings Rollstuhl. «Ich glaube, Sie haben recht», sagte ich. «Mich scheint der Regen auch nicht zu berühren.» Während ich sprach, schlängelte sich ein Blitz über den Himmel, gefolgt von einem ungeheuren Donnerschlag. Gnadenlos schlug der Regen auf uns ein, attackierte unsere ungeschützten Körper mit einem Hagel flüssiger Geschosse. Der nächste Windstoß hieb Effing die Brille vom Gesicht, aber er lachte nur, schwelgte in der Gewalt des Gewitters.
«Seltsam, was?» schrie er mich durch das Getöse an. «Es riecht nach Regen. Es hört sich nach Regen an. Es schmeckt sogar wie Regen. Und trotzdem sind wir vollkommen trocken. Der Sieg des Geistes über die Materie, Fogg. Endlich haben wir’s geschafft! Wir haben das Geheimnis des Universums geknackt!»
Es war, als hätte ich tief in meinem Innern eine geheimnisvolle Grenze überschritten, als sei ich durch eine Falltür in die innersten Kammern von Effings Herz gelangt. Nicht daß ich mich einfach in seinen grotesken Spaß ergeben hätte, nein, ich hatte mit einer endgültigen Geste seine Freiheit bestätigt, und in diesem Sinne hatte ich mich endlich für ihn bewährt. Der Alte würde sterben, aber solange er noch lebte, würde er mich lieben.
Während der ganzen nächsten sieben oder acht Blocks schrie Effing wie in Ekstase. «Ein Wunder!» brüllte er. «Ein gottverdammtes Scheißwunder! Geld fällt vom Himmel - sammelt es auf, solange es noch da ist! Geld zu verschenken! Geld für alle und jeden!»
Freilich hörte ihn niemand, da die Straßen völlig leer waren; wir waren die einzigen Idioten, die noch nicht irgenwo Schutz gesucht hatten. Unterwegs stattete ich, um die restlichen Scheine loszuwerden, einigen Bars und Coffeeshops kurze Besuche ab. Dazu parkte ich Effing neben dem Eingang, und während ich drinnen das Geld verteilte, konnte ich sein wildes Gelächter hören. Die Ohren klangen mir von dieser wahnsinnigen Untermalung unseres slapstickhaften Finales. Inzwischen geriet das Ganze außer Kontrolle. Wir waren selbst zu einer Naturkatastrophe geworden, zu einem Taifun, der auf seiner Bahn unschuldige Opfer verschlang. «Geld!» brüllte ich und lachte und weinte gleichzeitig. «Fünfzig-Dollar-Scheine für jeden!» Ich war so durchnäßt, daß aus meinen Stiefeln Fontänen spritzten, ich troff wie eine mannsgroße Träne, ich machte alles und jeden naß. Es war ein Glück, daß die Sache jetzt vorbei war. Denn hätten wir noch länger weitergemacht, wären wir wahrscheinlich wegen groben Unfugs hinter Gittern gelandet.
Das letzte Lokal, das wir heimsuchten, war Child’s
Weitere Kostenlose Bücher