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Mond über Manhattan

Mond über Manhattan

Titel: Mond über Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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meines Lebens!»
    Sein Plan war sehr einfach. Anstatt am hellichten Tag durch die Straßen zu gehen und jedem Vorbeikommenden Geld zu geben (was zu einem unkontrollierbaren Volksaufstand geführt hätte), würden wir in einigen sorgfältig ausgewählten Gebieten eine Reihe von blitzartigen Guerillaangriffen durchführen. Die ganze Operation sollte sich über einen Zeitraum von zehn Tagen erstrecken; bei jedem Vorstoß würden nicht mehr als vierzig Leute Geld erhalten, was die Wahrscheinlichkeit irgendwelcher Ärgernisse drastisch verringerte. Ich sollte das Geld in meinen Taschen tragen, und falls uns jemand überfiele, würde er uns höchstens zweitausend Dollar rauben können. Das restliche Geld würde derweil ganz ungefährdet zu Hause in der Tasche liegen. Wir würden das gesamte Stadtgebiet abdecken, sagte Effing, nie an aufeinanderfolgenden Tagen benachbarte Bezirke aufsuchen. An einem Tag ginge es in den Norden, am nächsten in den Süden; montags zur East Side, dienstags zur West Side. Nirgends würden wir uns so lange aufhalten, daß die Leute dahinterkommen könnten, was wir da eigentlich machten. Unsere eigene Wohngegend würden wir uns bis zum Ende aufsparen. Damit sähe das Unternehmen wie ein einmaliges Ereignis aus, und ehe sich irgendwer an uns vergreifen könnte, wäre die ganze Sache auch schon vorbei.
    Ich sah sofort ein, daß ich ihn nicht daran hindern konnte. Er hatte sich dazu entschlossen, also versuchte ich gar nicht erst, es ihm auszureden, sondern bemühte mich nur, seinen Plan so sicher wie möglich zu machen. Der Plan sei nicht übel, sagte ich, doch hinge alles davon ab, zu welcher Tageszeit wir unsere Ausflüge unternehmen würden. Die Nachmittage seien zum Beispiel nicht sehr günstig. Dann seien zu viele Leute auf der Straße, und entscheidend sei ja gerade, das Geld jedem einzelnen so zu überreichen, daß niemand sonst etwas davon mitbekomme. Nur so ließen sich etwaige Störungen auf ein Minimum begrenzen.
    «Hmm», sagte Effing, der mir sehr konzentriert zuhörte. «Welche Zeit schlagen Sie also vor, Junge?»
    «Den Abend. Nach Arbeitsschluß, aber nicht so spät, daß wir in irgendeiner verlassenen Straße landen könnten. Sagen wir, zwischen halb acht und zehn.»
    «Mit anderen Worten: nach unserem Abendessen. Also eine Art Verdauungsspaziergang.»
    «Genau.»
    «Abgemacht, Fogg. Nach Einbruch der Dämmerung werden wir losziehen, zwei Robin Hoods auf der Jagd, bereit, unsere Großzügigkeit an den Glücklichen zu erweisen, die uns über den Weg laufen.»
    «Sie sollten auch über die Transportfrage nachdenken. Die Stadt ist groß, und einige Orte, die wir aufsuchen werden, liegen meilenweit entfernt. Wenn wir das alles zu Fuß machen, wird es an manchen Abenden schrecklich spät werden. Und falls wir mal schnell irgendwo weg müßten, könnten wir in Schwierigkeiten geraten.»
    «Weibisches Gerede, Fogg. Uns wird nichts passieren. Wenn Ihre Beine müde werden, nehmen wir ein Taxi. Und solange Sie gehen können, gehen wir.»
    «Ich habe nicht an mich gedacht. Ich möchte nur, daß Sie wissen, worauf Sie sich einlassen. Haben Sie schon daran gedacht, einen Wagen zu mieten? Dann könnten wir jederzeit im Handumdrehn verschwinden. Wir brauchten nur einzusteigen, und der Fahrer würde uns wegbringen.»
    «Ein Fahrer! Eine groteske Idee! Damit verlöre das Ganze seinen Sinn.»
    «Ich wüßte nicht warum. Es geht doch darum, das Geld wegzugeben, aber deswegen braucht man nicht in der kalten Frühjahrsluft durch die Stadt zu latschen. Es wäre eine Dummheit, krank zu werden, nur weil Sie versuchen, großzügig zu sein.»
    «Ich möchte aber herumstreifen können, die Situationen erspüren, wie sie sich ergeben. Im Auto kann man das nicht. Dazu muß man auf der Straße sein, die gleiche Luft atmen wie die anderen auch.»
    «War ja nur ein Vorschlag.»
    «Behalten Sie Ihre Vorschläge für sich. Ich fürchte mich vor nichts, Fogg, dafür bin ich zu alt, und je weniger Sorgen Sie sich meinetwegen machen, desto besser. Wenn Sie mitmachen, gut. Aber sobald Sie einmal mitmachen, haben Sie den Mund zu halten. Wir werden diese Sache auf meine Art durchführen, komme, was da wolle.»
    In den ersten acht Tagen ging alles glatt. Wir waren uns einig, daß es eine gewisse Rangfolge gab, was die Bedürftigkeit betraf, und das gab mir freie Hand, so zu handeln, wie ich es für richtig hielt. Es ging nicht darum, jedem, der zufällig vorbeikam, Geld zu geben, sondern gewissenhaft die Bedürftigsten

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