Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mond über Manhattan

Mond über Manhattan

Titel: Mond über Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
Vom Netzwerk:
anderen suchen.»
    «Einfach so?»
    «Ja, einfach so. Ich weiß, Sie sind ein ziemlich starker junger Mann, aber irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, daß Sie den Rest Ihres Lebens als Möbelpacker arbeiten.»
    «Ich hatte nicht vor, eine Karriere daraus zu machen. Man könnte das eine zeitweilige Stellung nennen.»
    «Nun denn, ich biete Ihnen eine andere zeitweilige Stellung an. Seien Sie mein Assistent, mein Wegbereiter, meine rechte Hand. Ich biete Ihnen Zimmer und Verpflegung, freien Proviant, und so viel an Spesen, wie Sie für nötig halten. Wenn diese Bedingungen Sie nicht zufriedenstellen, bin ich bereit zu verhandeln. Was sagen Sie dazu?»
    «Es ist Sommer. Wenn es Ihnen in New York nicht gefällt, wird Ihnen die Wüste noch weniger gefallen. Wir würden gebraten, wenn wir jetzt da rauszögen.»
    «Es handelt sich doch nicht um die Sahara. Wir kaufen uns einen Wagen mit Aircondition und reisen ganz bequem.»
    «Wohin? Wir haben nicht die leisteste Ahnung, wo wir anfangen sollen.»
    «Aber natürlich. Ich behaupte ja nicht, daß wir finden werden, wonach wir suchen, aber das Gebiet kennen wir. Den Südwesten von Utah, ausgehend von der Ortschaft Bluff. Jedenfalls kann ein Versuch nichts schaden.»
    So ging die Diskussion noch einige Stunden weiter, und ganz allmählich rang Barber meinen Widerstand nieder. Auf jedes meiner Argumente hatte er ein Gegenargument; auf jedes Nein von mir setzte er zwei oder drei Ja. Ich weiß nicht, wie er das gemacht hat, aber als ich mich schließlich ergab, war ich fast glücklich. Vielleicht war es die schiere Aussichtslosigkeit des Unternehmens, was bei mir den Ausschlag gab. Wenn ich auch nur die geringste Möglichkeit gesehen hätte, daß wir die Höhle finden könnten, würde ich mich wohl kaum auf die Sache eingelassen haben, aber die Vorstellung, auf eine sinnlose Suche auszuziehen, zu einer Reise aufzubrechen, die ein Fehlschlag werden mußte, sagte meiner derzeitigen Sicht der Dinge zu. Wir würden suchen, aber wir würden nicht finden. Nur die Reise als solche war wichtig, und am Ende bliebe uns nichts als die Vergeblichkeit unseres Strebens. Mit einer solchen Metapher konnte ich leben, es war der Sprung ins Leere, von dem ich immer geträumt hatte. Ich gab Barber die Hand darauf und sagte, er könne auf mich zählen.
    In den nächsten zwei Wochen machten wir unseren Plan perfekt. Wir beschlossen, nicht auf direktem Weg nach Utah zu reisen, sondern einen sentimentalen Umweg über Chicago und Minnesota zu machen. Das würde uns tausend Meilen vom Kurs abbringen, doch darin sahen wir beide kein Problem. Wir hatten es nicht eilig, nach Utah zu kommen, und als ich Barber sagte, ich wolle den Friedhof besuchen, auf dem meine Mutter und mein Onkel begraben lägen, erhob er keinerlei Einwände. Wenn wir schon mal in Chicago wären, sagte er, könnten wir doch auch gleich für ein paar Tage einen kleinen Abstecher nach Northfield machen. Er habe da noch einige Kleinigkeiten zu erledigen, und in der Zwischenzeit könne er mir die Sammlung der Gemälde und Zeichnungen seines Vaters auf dem Dachboden seines Hauses zeigen. Ich erwähnte gar nicht erst, daß ich diesen Bildern in der Vergangenheit aus dem Wege gegangen war. Im Geiste der Expedition, die wir bald antreten wollten, sagte ich zu allem ja.
    Drei Tage später kaufte Barber in Queens einen gebrauchten Wagen mit Aircondition. Es war ein roter Pontiac Bonneville Baujahr 1965, der erst 47000 Meilen gelaufen war. Er verliebte sich sofort in seine Protzigkeit und Schnelligkeit und feilschte gar nicht erst lange um den Preis. «Was denken Sie?» fragte er mich immer wieder, als wir uns den Wagen ansahen. «Das ist ein Wagen, was?» Auspuff und Reifen mußten erneuert, der Vergaser neu eingestellt werden, das Heck war eingebeult, aber Barber war entschlossen, und ich sah keinen Grund, ihn von dem Kauf abzubringen. Trotz all seiner Mängel war der Wagen ein schnelles Maschinchen, wie er sich ausdrückte, und ich nahm an, er würde uns genauso gute Dienste leisten wie jeder andere. Wir machten eine Probefahrt, und während wir kreuz und quer durch die Straßen von Flushing fuhren, hielt Barber mir einen begeisterten Vortrag über Pontiacs Rebellion gegen Lord Amherst. Wir sollten nicht vergessen, sagte er, daß dieser Wagen nach einem großen Indianerhäuptling benannt wurde. Das wird unserer Reise eine neue Dimension verleihen. Indem wir mit diesem Wagen in den Westen fahren, huldigen wir den Toten, gedenken wir der

Weitere Kostenlose Bücher