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Mond über Manhattan

Mond über Manhattan

Titel: Mond über Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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wüste Gegend. Gab weder Glühbirnen noch Kinos, verlassen Sie sich drauf, und auch keine verfluchten Autos, die einen überfahren konnten. Er mochte die Indianer, erzählte er mir. Die waren gut zu ihm und ließen ihn in ihren Dörfern wohnen, wenn er da durchkam. Und dann drehte er schließlich durch. Er zog ein Indianerkostüm an, das ihm irgendein Häuptling zwanzig Jahre zuvor geschenkt hatte, und trieb sich in diesem Aufzug auf den Straßen von New Jersey herum. Federn auf dem Kopf, Perlen, Schärpen, langes Haar, einen Dolch im Gürtel, die komplette Ausrüstung. Das arme kleine Schwein. Zu allem Überfluß versteifte er sich auch noch darauf, sich sein Geld selbst zu machen. Handgemalte Tausend-Dollar-Scheine, mit seinem eigenen Bild darauf- genau in der Mitte, wie das Porträt eines Gründervaters. Eines Tages geht er in die Bank, gibt dem Kassierer einen dieser Scheine und will ihn sich wechseln lassen. Kein Mensch findet das sonderlich lustig, besonders als er auch noch anfängt, Stunk zu machen. Man kann sich nicht am allmächtigen Dollar vergreifen und erwarten, damit durchzukommen. Also schleifen sie ihn in seinem schmierigen Indianerkostüm da raus, er tritt um sich und schreit wie am Spieß. Wenig später faßte man dann den Beschluß, ihn für immer einzubunkern. Irgendwo im Bundesstaat New York, glaube ich. Lebte bis zum Ende in der Klapsmühle, malte aber weiter, falls Sie das glauben können, der Mistkerl konnte einfach nicht damit aufhören. Er bemalte alles, was er kriegen konnte. Papier, Pappe, Zigarrenkisten, sogar Fensterrollos. Und der Witz dabei war, daß seine alten Werke sich jetzt verkauften. Erzielten enorme Preise, o ja, unerhörte Summen für Bilder, die noch ein paar Jahre zuvor kein Mensch ansehen wollte. Irgendein gottverdammter Senator aus Montana blätterte für Moonlight vierzehntausend Dollar hin - der höchste Preis, der je für das Werk eines lebenden amerikanischen Künstlers bezahlt wurde. Ralph und seine Familie hatten natürlich nichts davon. Seine Frau lebte von fünfzig Dollar im Jahr in einer Hütte bei Catskill - übrigens die Gegend, die Thomas Cole so oft gemalt hat -, und sie konnte sich nicht mal das Fahrgeld leisten, um ihren Mann im Irrenhaus zu besuchen. Er war ein hitziger kleiner Wicht, das muß ich zugeben, immer in Aufregung, hämmerte, während er seine Bilder malte, gleichzeitig auf dem Klavier herum. Einmal habe ich das beobachtet, wie er zwischen Klavier und Staffelei hin und her rannte, das werde ich nie vergessen. Gott, wie das jetzt alles wieder zurückkommt. Pinsel, Palettmesser, Bimsstein. Draufklatschen, glätten, abreiben. So was hat’s noch nie gegeben. Nie. Nie, nie, nie.» Effing unterbrach sich kurz, um Luft zu holen, und wandte mir dann, als tauche er aus einer Trance auf, zum erstenmal sein Gesicht zu. «Was halten Sie davon, Junge?»
    «Es wäre hilfreich, wenn ich wüßte, wer Ralph war», antwortete ich höflich.
    «Blakelock», flüsterte Effing, als müsse er seine Gefühle mühsam in Schach halten. «Ralph Albert Blakelock.»
    «Ich glaube, ich habe noch nie von ihm gehört.»
    «Haben Sie denn keine Ahnung von Malerei? Ich dachte, Sie seien gebildet. Was zum Teufel hat man Ihnen denn in Ihrem feinen College beigebracht, Sie Klugscheißer?»
    «Nicht viel. Jedenfalls nichts von Blakelock.»
    «Es hat keinen Zweck. Ich kann nicht weiter mit Ihnen reden, wenn Sie von nichts eine Ahnung haben.»
    Es schien sinnlos, mich verteidigen zu wollen, also hielt ich den Mund und wartete. Es verging eine lange Zeit - zwei oder drei Minuten, eine Ewigkeit, wenn man darauf wartet, daß jemand etwas sagt. Effing ließ den Kopf auf die Brust sinken, als könne er das alles nicht mehr ertragen und wolle statt dessen ein Nickerchen machen. Als er den Kopf wieder hob, war ich ganz darauf eingestellt, daß er mich rauswerfen würde. Und ich bin sicher, genau das würde er getan haben, wenn er mich nicht schon einmal am Hals gehabt hätte.
    «Gehen Sie in die Küche», sagte er endlich, «und bitten Sie Mrs. Hume um das Fahrgeld für die U-Bahn. Dann ziehen Sie Mantel und Handschuhe an und gehen aus der Tür. Fahren Sie mit dem Lift nach unten, und gehen Sie zur nächsten U-Bahn- Station. Dort kaufen Sie zwei Marken. Stecken Sie eine der Marken in Ihre Tasche. Die andere stecken Sie in das Drehkreuz, dann gehen Sie runter und steigen in die Bahn Nummer 1 Richtung Süden. An der 72nd Street steigen Sie aus, überqueren den Bahnsteig und warten auf den

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