Mondberge - Ein Afrika-Thriller
Vierergruppe mit der Geiselnahme zu tun?«, fragte er sich und seine Kollegin ein paar Minuten später.
»Offenbar sind sie im Streit auseinandergegangen«, dachte diese laut nach. »Sonst hätte von Schellenburg doch nicht gesagt, dass die Freundschaft lange her sei. Eine Verbindung zu Kayibanda kann ich im Moment noch nicht erkennen.«
»Ist es vorstellbar, dass Kayibanda gar nicht weiß, welche Information er uns weitergegeben hat?« Wiese sah seine Mitarbeiterin fragend an. »Was wäre, wenn er das Geschehen in Afrika gar nicht mehr im Griff hat?«
»Das würde bestätigen, dass Kayibanda die Information nicht von Andrea bekommen hat, sondern von jemand anderem.«
»Hans Meyer.« Er dachte einen Moment nach. »Was ist damals geschehen?« Er richtete sich auf. »Wann war das überhaupt?«
»Das Foto ist 1970 entstanden.«
»Und mir gegenüber hat von Schellenburg gesagt, dass sich die Wege in den Siebzigern getrennt haben. Was sagt denn seine offizielle Vita dazu?«
Paffrath blätterte durch einen Stapel Papier, bis sie gefunden hatte, was sie suchte.
»Ab Sommer 1971 hat er in Deutschland gearbeitet.«
»Und Idi Amin ist im Januar 1971 an die Macht gekommen. Irgendetwas muss in den Monaten dazwischen geschehen sein.«
»Dann sollten wir dem nachgehen!«, sagte Anja Paffrath und erhob sich, um die Recherchen wieder aufzunehmen.
54
Im Tal, am Nachmittag des Tages vor der Feier
Die Boote kamen zügig von der Insel auf die Neuankömmlinge zu. Im ersten saß der Schamane, das Oberhaupt, von dem Kambere gesprochen hatte. Er fiel durch sein grimmiges Gesicht und die Flüche auf, die er unentwegt ausstieß. Auch er war nur mit einem Lendenschurz bekleidet, trug dazu jedoch eine mit Federn geschmückte Kopfbedeckung, mit der er Tom an einen gerupften Vogel erinnerte. Er sprang sofort an Land, als das Boot auf Grund lief, und schüttelte die Fäuste vor den beiden Weißen. Tom sah, wie Kambere die Szene vom Waldrand aus abschätzig betrachtete und hoffte inständig, dass dem Jungen durch sie keine Probleme entstehen würden.
Der Schamane war alt. Sein Gesicht war runzlig, großflächige Tätowierungen zierten seinen freien Oberkörper. In der rechten Hand hielt er einen Speer, dessen Klinge glänzte. Ein grauer Bart umrankte seinen Mund, aus dem unentwegt Worte auf Lhukonzo herauszischten, und die Augen schleuderten hasserfüllte Blicke auf die Fremden.
Nach einer längeren und hitzigen Diskussion zwischen ihm, den anderen Dorfbewohnern in den Booten und Mbusa teilte dieser Andrea, Tom und Peter schließlich mit, dass man beschlossen habe, sie auf die Insel zu lassen. Der Schamane sei zwar strikt dagegen, aber die meisten anderen hatten sich der Meinung angeschlossen, Flüchtenden müsse geholfen werden. So saßen die drei kurze Zeit später zusammen mit Kambere und Mbusa in einem der Boote und ließen sich über die glatte Wasseroberfläche fahren, in der sich die Wolken spiegelten.
Tom war wie gebannt, als sie die Insel erreichten. Ein schmaler Sandstrand der seicht zum Wasser hin abfiel, erstreckte sich am Ufer. Dahinter befand sich, umschlossen von einem Zaun aus Bambus, um den Schilf geflochten war, das eigentliche Dorf. Durch ein großes Tor gelangten sie hinein: eine Ansiedlung aus mehreren Hütten, die in einem großen Kreis aufgestellt waren. Mbusa erklärte, dass man an der Größe der Hütten ablesen könne, wie viele Ziegen der Bewohner besitze. Um einige größere Hütten scharten sich jeweils mehrere kleinere, in denen jeweils die Frauen und die Kinder eines Mannes lebten. Manche Kinder, ergänzte Kambere, zogen schon mit sechs Jahren in ihre eigene Hütte, die immer nur aus einem Raum bestand.
Tom sah sich um und erahnte, dass diese Sitte offenbar schon lange gepflegt wurde. Ein regelmäßiges Muster aus unterschiedlich großen Hütten erstreckte sich in Varianten und ohne erkennbare Ausnahmen über den bewohnten Teil der Insel. So wirkte es naturverbunden und organisch. Beinahe unschuldig.
Peter bestätigte, dass es diese Strukturen noch vor einigen Jahren in den traditionellen Dörfern seiner Heimat gegeben hatte. Er war jedoch ein wenig verwundert darüber, diese Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, den Aufbau der Hütten und das althergebrachte Verfahren, einen Stammesführer demokratisch zu wählen, hier im Herzen des Ruwenzori, in der Gegenwart, anzutreffen.
Vor allen Hütten saßen und standen Frauen, Kinder und Männer. Die meisten waren damit beschäftigt, zu kochen oder
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