Mondberge - Ein Afrika-Thriller
zusammensaßen.
»Was genau hat Birgit gesagt?«, fragte er Hitimana mit trockener Kehle.
»Ich habe nicht alles richtig verstanden. Aber sie hat von Paul verlangt, dass sie besser behandelt wird als die anderen. Weil sie die Frau seines Chefs ist.«
»Und wie hat Paul reagiert?«
»Er hat gelacht. Wenn der Präsident wieder da ist, will er dich gar nicht mehr, hat er gesagt. Sie sei Bernard völlig egal.«
Tom erinnerte sich, wie Birgit nach einer Auseinandersetzung mit Paul niedergeschlagen zu ihnen zurückgekommen war. Obwohl alles zusammenzupassen schien, fand Tom die Idee noch immer äußerst gewagt. Selbst die kaltblütigsten Menschen warfen ihre Freunde einem solchen Rebellen nicht zum Fraß vor.
»Vielleicht hast du sie falsch verstanden? Manchmal sagen Erwachsene Dinge, die sie nicht so meinen.«
»Ich weiß, was ich gehört habe«, beharrte Hitimana und sah dabei plötzlich sehr erwachsen aus. »Und ich sage dir: Die Frau ist gefährlich.«
Tom überlegte fieberhaft, wie er vorgehen konnte, um Birgit die Wahrheit zu entlocken. So bemerkte er zu spät die klobigen Stiefel des Generals vor sich im Dreck, sah erst im letzten Moment, wie Paul seine kleine glänzende Pistole aus dem schmierigen Halfter zog. Er spürte das Zittern des geflohenen Kindersoldaten Hitimana neben sich, blickte dem kaltblütigen Afrikaner über sich in die Augen und sah darin die Lust an der Qual.
Paul zog den Hahn seiner Waffe noch nicht durch. Eine Weile ergötzte er sich an der Angst seines ehemaligen Untergebenen. Dem Jungen trat der Schweiß auf die Stirn und er griff nach Kamberes Hand, der auf der anderen Seite neben ihm saß. Pauls Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen, als er die Mündung der Waffe langsam zu dem fremden Jungen hinüberwandern ließ.
Hitimana suchte auch mit der anderen Hand Halt. Die kleine raue Handfläche legte sich langsam auf Toms Arm. Dieser spürte die Angst des Jungen fast, als wäre es die eigene. Das Zittern durchströmte ihn wie immer stärker werdender elektrischer Strom. Neben ihm saß ein Kind, das alles verloren hatte, was es brauchte. Die Eltern, die Geschwister, Heimat, Liebe. Und jetzt sollte Hitimana auch noch sein eigenes Leben verlieren?
Entschlossen drückte sich Tom in die Höhe. Er überragte den General der ALR um zehn Zentimeter. Das war ihm vorher nie aufgefallen. Mitleidig blickte er auf den Mann hinab, der sich nun ihm zuwandte, ohne die Position der Waffe zu verändern. Tom hatte keine Angst mehr.
Er sah Paul in die Augen, unverwandt, ohne zu blinzeln, streckte die Hand aus, legte sie auf Pauls Arm und drückte diesen langsam und konsequent nach unten. Dabei ließ sein Blick nicht von den Augen des Generals ab, in denen er die Häme und Kaltblütigkeit erkannte, die einen Menschen unberechenbar macht.
In diesem Moment bemerkte Tom die Männer. Im Schatten der üppigen Pflanzenwelt näherten sie sich. Geduckt. In Tarnanzügen. Vermummt und mit gezückten Maschinenpistolen. Es war vorbei. Paul hatte nichts mehr zu melden.
Toms Bewegung der Augen war kaum wahrnehmbar. Ein winziger Blick zur Seite, ein kurzes Aufflackern, eine Spiegelung in den Pupillen. Seine Augen lachten, während er noch immer keine Miene verzog. Er beobachtete Paul gespannt. Der glaubte weiterhin, die Macht in den Händen zu halten, der Mittelpunkt der Welt zu sein. In dieser Position bemerkt man nicht, wenn sich alles plötzlich in eine andere Richtung dreht. Und das war genau jetzt der Fall.
Paul ließ widerstandslos zu, dass Tom seinen Arm hinunterdrückte, denn er registrierte sehr wohl, dass etwas geschah. Er hatte es in Toms Augen gesehen. Wenn er jetzt schoss, wäre er in derselben Sekunde tot. Wer oder was auch immer hinter ihm war, würde nicht einen Sekundenbruchteil zögern.
Ganz langsam senkte sich Pauls Arm und steckte die Pistole zurück in das Halfter. Dann geschah das Unglaubliche: Paul reichte Hitimana die Hand, und der Junge blickte erstaunt zu ihm empor, griff tatsächlich zu, irritiert über diese plötzliche Geste. Pauls Hand schloss sich um seine. Hitimana zuckte zusammen, versuchte seine Hand zurückzuziehen, aber der General ließ ihn nicht mehr los. Seine Hand war zu einer eisernen Klaue geworden, die sich niemals wieder öffnen wollte.
Tom blickte wie gelähmt auf das Geschehen neben sich, ohne Idee, was er tun sollte. Panisch sah er sich um, erfasste Andrea, die ihn erschrocken anstarrte, daneben Birgit, bemerkte Innocent, der sich in die Dunkelheit der Höhle
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