Mondberge - Ein Afrika-Thriller
konnte ihm ansehen, dass ein ganzes Gedankengebäude in Trümmer zerfiel. Keiner im Raum sagte etwas. Alle warteten gespannt auf die weiteren Ausführungen Wieses.
»Ich kann noch nicht einschätzen, wie diese Information zu bewerten ist. Ihnen sollte damit allerdings zumindest klar sein, dass Ihre Tochter nicht so einfach in das nächste Flugzeug nach Europa entlassen wird, nur weil Sie einen der Erpresser zufrieden gestellt haben.«
Von Schellenburg erhob sich wieder von seinem Stuhl, fischte nervös sein Taschentuch aus der Hose, ging ein paar Schritte auf die Tür zu, schien den Raum verlassen zu wollen. Doch dann wandte er sich wieder Wiese zu.
»Dann tun Sie doch endlich etwas«, sagte er mit leiser Stimme, beinahe flehend.
»Sie sollten sich eines klar vor Augen führen, Herr von Schellenburg: Wenn Kayibanda erst einmal deutschen Boden verlassen hat, dann ist ihm das Leben Ihrer Tochter Andrea keinen Pfifferling mehr wert.« Er sah den schrumpfenden Hünen an der Tür kühl an. »Die Entführung durch die Rebellen schützte sie auch bis zu einem gewissen Grad vor den Interessen von Hans Meyer und Birgit Brandt, welcher Art die auch immer sein mögen. Oder wer vor Ort sonst noch seine Hände im Spiel haben mag. Dieser Schutz fällt nun flach. Sie wissen, was das bedeutet, und Sie sind sich sicherlich auch im Klaren darüber, wer die Verantwortung für diese Entwicklung trägt.«
Leichenblass starrte von Schellenburg den Leiter des Krisenreaktionszentrums an, ließ seine Hände fahrig die Luft zerschneiden, bevor er sich wieder umdrehte, um zu seinem Stuhl zurückzukehren.
»Warum tun Sie dann nichts dafür, dass meine Tochter aus dieser Lage befreit wird?«, hauchte der korpulente Mann, als er sich wieder gesetzt hatte.
Mit zu schmalen Schlitzen verengten Augen sah Wiese ihn an.
»Wir arbeiten hier Tag und Nacht genau an diesem Ziel: Ihre Tochter und die anderen Geiseln unversehrt aus ihrer misslichen Situation zu befreien. Allerdings wird unsere Arbeit zur Zeit massiv von Ihren Interventionen torpediert.«
Energisch drückte sich Wiese von der Tischplatte ab. Er schüttelte ärgerlich den Kopf, packte seine wichtigsten Unterlagen zusammen und schickte sich an, den Raum zu verlassen. Seine Mitarbeiterin Anja Paffrath folgte ihm. Als Wiese sich an der Tür noch einmal umsah, blickte er in eine Runde betroffener Krisenstabsmitglieder. Und in die Augen eines verzweifelten Vaters.
73
Außerhalb des Tals, am Morgen des 22. Juni
Das Lager der Rebellen am Ausgang der Höhle war schmutzig, schlammig und kalt. Die Geiseln saßen unter Bäumen, hinter ihnen die Berge, die das verborgene Tal von der Außenwelt abgrenzten. Vor ihnen lagerten die wenigen Soldaten, die übrig geblieben waren. Paul war gerade zu ihnen gegangen, sein Stellvertreter Innocent machte sich etwas abseits an dem Eingang zur Höhle zu schaffen, aus der sie in der Nacht gekommen waren.
Tom ging auf Hitimana und Kambere zu, die noch immer verängstigt und völlig erschöpft aussahen. Er setzte sich neben die beiden Jungen auf den Boden, um ihnen Mut zuzusprechen.
»Wo kommt die Frau her?«, wollte Hitimana leise von Tom wissen. Er nickte zu Birgit hinüber. »Sie ist gefährlich ...«
Erstaunt sah Tom ihn an. »Nein, keine Sorge, Birgit ist mit Andrea befreundet. Sie kümmert sich nur um sie.«
»Aber sie hat das doch alles organisiert«, flüsterte der Junge, während er sich nervös umsah, ob die Soldaten, die nur ein paar Meter entfernt saßen, ihnen zuhörten.
»Was meinst du damit?«, fragte Tom.
»Sie hat es Paul gesagt. Gleich nach der Entführung.« Hitimana blickte Tom ängstlich an. »Sie hat gesagt, dass sie die Verlobte von unserem Präsidenten ist.«
»Von diesem Bernard?« Toms Stirn legte sich in Falten, als er an diesen Schattenpräsidenten dachte, der eine Armee von Söldnern im tiefsten Afrika angeblich von Deutschland aus befehligte, hier aber nie in Erscheinung trat. »Nein, das ist vermutlich nur irgendeine Art Finte von Birgit gegenüber Paul. Sie ist einfach nur eine Freundin ...«
Tom stockte. Wie heißes Öl fuhr ihm die Erkenntnis durch die Glieder. Birgit hatte sich merkwürdig verhalten. Sie hatte immer wieder mit Paul geredet, als hätten ihre Gespräche bereits eine persönliche Basis, als würden sie sich kennen. Vielleicht hatte sie sich gar nicht für ihre Freilassung eingesetzt? Was, wenn Tom sie völlig falsch eingeschätzt hatte? Er starrte entsetzt zu Andrea und Birgit hinüber, die einträchtig
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