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Monde

Titel: Monde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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schmerzbetäubten Füßen, die in unmöglichen Winkeln unter ihm hängen; noch zwei Sekunden, und er wird in diesem Flammenmeer spitzer Pflöcke und glühenden Treibstoffs landen, er wird auf diesen gesplitterten Knöcheln landen, Körper und Fallschirm werden in der Hitze in Flammen aufgehen, und seine Haut wird sieden wie die einer Gottesanbeterin, die im Feuer aus ihrem eigenen Panzer platzt.
    Und Baedecker wacht auf.
    Er wacht auf und greift – wie immer – über sich nach den Seilen des Fallschirms, ertastet aber stattdessen Armlehne und Wand. Er erwacht, wie immer stumm und schweißgebadet, und erinnert sich an jede Einzelheit, an die er sich während der schmerzgebeutelten Stunden nach dem Absturz oder in den schmerzgeplagten zehn Wochen langsamer Rekonvaleszenz im Krankenhaus hinterher nicht erinnern konnte, nicht einmal in den drei Jahren nach diesem Augusttag – bis zu der Nacht, als er den Traum zum ersten Mal hatte und genau wie jetzt erwachte, um sich tastend, schweißgebadet und mit einer vollkommen klaren Erinnerung an das, woran man sich nicht erinnern kann.
    Aber dieses Mal war der Traum anders. Baedecker schwingt die Füße auf den Boden, stützt den Kopf in zitternde Hände und versucht, den Unterschied zu erkennen.
    Und er erkennt ihn.
    Das Armaturenbrett ist rot, der Stauflugalarm heult, Baedecker spürt das Flugzeug Bauch voraus auf die Bäume zuschlingern. Es gibt kein Entrinnen vor diesem starken Sog, die Erde zerrt ihn nach unten. Aber Baedecker drückt sich den Knüppel bis an den Bauch, duckt sich und reißt am D-Ring, obwohl er weiß, dass nicht genug Zeit ist, und zertrümmerte Zweige fliegen mit der Cockpithaube nach oben davon. Dann – in Zeitlupe – die vertraute Erlösung, als der Schleudersitz sich aus dem Sarg des zerfallenden Rumpfes erhebt und langsam wie ein viktorianischer Fahrstuhl, ohne besondere Hast, in die Höhe steigt. Baedeckers helmgeschützter Kopf passiert die Sichtlinie des Deflektorspiegels, der über den Cockpitinstrumenten angebracht ist, und er erblickt sich eine Sekunde lang selbst. Der Spiegel reflektiert das Visier, das den Spiegel reflektiert, und als er noch höher steigt, kommt in Sicht, woran er in der Not des Augenblicks nicht gedacht hat, was er selbstverständlich immer gewusst und niemals wirklich vergessen, sondern im panischen Moment des Überlebens lediglich übersehen hat: Er entdeckt Scott auf dem Rücksitz. Scott, der heute mitgeflogen ist und ihm nach wie vor blind vertraut. Scott, etwa sieben Jahre alt, mit Bürstenschnitt und Cape-Canaveral-T-Shirt. Scott, dessen Augen immer noch voller Vertrauen auf den Spiegel gerichtet sind und der darauf wartet, dass sein Vater irgendetwas tut. Er empfindet keine Angst, nur Vertrauen, aber dann ist Baedecker über ihm in Sicherheit – in welch schmerzvoller Sicherheit! –, und er brüllt Scotts Namen, während er langsam den wirbelnden Wellen der Flammen entgegentrudelt.
    Baedecker steht auf und geht zwei Schritte zum Fenster. Er drückt die Stirn gegen das kalte Glas der regennassen Scheibe und spürt überrascht, wie ihm Tränen über die Wangen laufen. In den frühen Morgenstunden presst Baedecker das Gesicht gegen die kalte Glasscheibe und weiß jetzt ganz genau, warum Dave gestorben ist.  
    Baedecker bricht noch vor Morgengrauen auf, damit er um 7 Uhr 30 in Tacoma sein kann. Einige Mitglieder der Untersuchungskommission sind alles andere als glücklich darüber, hier zu sein, aber um 8 Uhr 15 sitzt er da und hört den sechs Männern zu und redet selbst kurz, als sie fertig sind, und um 9 Uhr ist er schon wieder auf dem Weg nach Südosten und überquert die unsichtbare Grenze nach Oregon oberhalb von Dalles. Es ist ein grauer, windiger Tag, der Geruch von Schnee liegt in der Luft, und obwohl er die nördlichen Felsenklippen nach einer Spur des Stonehenge-Monuments absucht, ist nichts zu sehen.
    Es ist kurz nach 13 Uhr, als Baedecker vom Hügel westlich davon auf Lonerock hinabschaut. Auf dem steilen Hang gibt es ein paar verschneite Stellen, und er steuert den gemieteten Toyota im zweiten Gang hinunter. Die Stadt mit ihrer menschenleeren Hauptstraße macht einen noch verlasseneren Eindruck als sonst. Sollys Wohnmobil ist für den Winter geschlossen, in Miz Callahans Schule sind schwere Vorhänge vor die Fenster gezogen, die Schneeverwehungen in den Seitenstraßen sind völlig unberührt. Baedecker parkt vor dem Lattenzaun und öffnet die Haustür mit dem Schlüssel, den Di ihm vor zwei Tagen

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