Monde
Baedecker kannte die Fotos gut; Kopien davon oder ganz ähnliche Bilder hatten zwölf Jahre lang auch in seinem Büro und Arbeitszimmer gehangen. In Gavins Sammlung fehlten lediglich das Standardfoto der NASA von der Mission: ein farbiger Druck, die Vergrößerung eines Bilds der Videokamera des Rover, das Baedecker und Dave Muldorff – in ihren klobigen Raumanzügen nicht zu unterscheiden – zeigte, wie sie mit dem Mariusgebirge im Hintergrund vor der amerikanischen Flagge salutierten.
»Sprich«, sagte Gavin. »Erzähl mir, was in deinem Leben vor sich geht, Dick.«
Baedecker redete eine Zeit lang und berichtete Gavin von seinem alten Job in St. Louis und seiner Abreise. Die Gründe dafür erklärte er nicht. Er war sich ja nicht mal sicher, ob er sie selbst alle kannte.
»Du suchst also Arbeit?«, fragte Gavin.
»Im Moment nicht«, sagte Baedecker. »Ich reise nur herum. Ich hab genügend Geld gespart, um ein paar Monate lang als Vagabund leben zu können. Danach schau ich mich mal um. Ich habe ein paar Angebote.« Er verschwieg, dass keines davon ihn auch nur im Geringsten interessierte.
»Klingt riesig«, sagte Gavin. Ein gerahmtes Plakat über seinem Schreibtisch verkündete: Dein Leben Jesus Christus anzuvertrauen ist der größte Sieg, den du jemals erringen kannst. »Wie geht es Joan? Habt ihr noch Kontakt?«
»Ich habe sie letzten März in Boston getroffen«, sagte Baedecker. »Sie machte einen sehr glücklichen Eindruck.«
»Prima«, sagte Gavin. »Was ist mit Scott? Immer noch an der … wo war er? Universität von Boston?«
»Im Augenblick nicht«, sagte Baedecker. Er verstummte und überlegte sich, ob er Gavin erzählen sollte, dass sein Sohn zu den Lehren eines indischen Gurus konvertiert war. »Scott hat ein Freisemester genommen, reist durch Indien und studiert das Land«, sagte er.
»Indien, Mann«, sagte Gavin. Er lächelte entspannt, seine Miene war offen und voller Zuneigung, aber in den tiefliegenden dunklen Augen glaubte Baedecker dieselben kalten Reservoirs an Ressentiments zu erspähen, die ihm noch von ihrer ersten Begegnung vor mehr als zwei Jahrzehnten auf Edwards im Gedächtnis waren. Damals waren sie Konkurrenten gewesen. Baedecker wusste nicht, ob sie es jetzt immer noch waren.
»Erzähl mir von deinem Projekt hier«, sagte Baedecker. »Von Apogee.«
Gavin grinste und fing an, mit leiser, fester Stimme zu sprechen. Es war eine Stimme, die weitaus mehr an öffentliche Reden und ans Geschichtenerzählen gewöhnt war als diejenige, die Baedecker aus der Zeit der Mission kannte. Damals war es eine stehende Redensart gewesen, dass Tom gern in Worten mit einer Silbe oder weniger antwortete. Dave Muldorff hatte damals den Spitznamen »Rockford« getragen , weil er Ähnlichkeit mit einem Fernsehdetektiv hatte, den James Garner spielte, und eine Zeit lang hatten Bodenpersonal und die anderen Piloten Gavin »Coop« genannt, wegen seiner lakonischen Ausdrucksweise, die manchmal aus nicht mehr als Ja und Nein bestand. Tom hatte das gar nicht gefallen, und der Spitzname hatte sich nicht gehalten.
Nun berichtete Gavin von den Jahren nach ihrer Mission, von seinem Ausscheiden aus der NASA kurz nach Baedecker, von seinem erfolglosen Pharmaziegroßhandel in Kalifornien. »Anfangs habe ich haufenweise Geld verdient, wir hatten ein großes Haus in Sacramento und ein Strandhaus nördlich von San Francisco, Deedee konnte sich kaufen, was sie wollte, aber ich war einfach nicht glücklich … verstehst du, was ich meine, Dick? Ich war einfach nicht glücklich.«
Baedecker nickte.
»Und zwischen Deedee und mir stand es einfach nicht gut«, fuhr Gavin fort. »Oh, die Ehe war intakt, zumindest sah es für unsere Freunde so aus, aber tief im Inneren … der hingebungsvolle Teil, der war einfach nicht mehr da. Und das wussten wir beide. Im Herbst 1976 lud ein Freund Deedee und mich dann zu einem Bibelwochenende ein, das von seiner Kirche finanziert wurde. Das war der Anfang. Obwohl ich als Baptist erzogen worden bin, hörte ich zum ersten Mal wirklich Gottes Wort und stellte fest, dass es für mich Gültigkeit hatte. Danach nahmen Deedee und ich eine christliche Eheberatung in Anspruch, und alles wurde besser. Zu der Zeit dachte ich gründlich über die Botschaft: nach, die ich gehört … oder eigentlich eher gefühlt hatte, als ich den Mond umkreiste. Trotzdem – erst als ich am Morgen des fünften April im Frühling 1977 aufwachte, wurde mir schlagartig klar, wenn ich weiterleben wollte, musste
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