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Monde

Titel: Monde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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schweren Rucksack aufgeschnallt. Sie näherte sich rasch, während der bärtige Bergsteiger auf der Wiese auf ein Knie sank, die Schultergurte löste und die in Tuch gewickelten Stangen auf den Boden sacken ließ. Baedecker hörte das Klirren von Metall auf Metall. Einen Augenblick wirkte der Mann zu erschöpft, um sich aufzurichten oder hinzusetzen; er verharrte einfach auf dem Knie, den Kopf gesenkt, so dass das Haar sein Gesicht verbarg. Dann trat das Mädchen namens Maria zu ihm und berührte zärtlich seinen Hinterkopf.
    »Toll, wir haben es!«, rief der dickere Junge. »Kommt schon, wir müssen die ganze Scheiße hier noch aufbauen.« Die beiden Jungs und das Mädchen machten sich daran, das Lager zu errichten, während der Bärtige einfach weiter im Gras kniete.
    »Wie seltsam«, sagte Maggie.
    »Eine Art Dokumentarfilm«, meinte Gavin.
    »Ich frag mich bloß, worüber.«
    »Marshmallows«, warf Deedee ein. »Schnitzen wir ein paar Zweige, um Marshmallows zu rösten, bevor es zu dunkel wird, um welche zu finden.« Tom Jr. verdrehte die Augen und wandte sein Gesicht dem schwarzen Wald zu.
    »Ich helfe mit«, sagte Baedecker, stand auf und streckte seine verkrampften Muskeln. Über dem Kamm im Osten waren einige schwache Sterne zu erahnen. Außerdem wurde es rasch kälter. Auf der anderen Seite der Wiese hatten die beiden jungen Männer und die Frau zwei kleine Zelte aufgebaut und sammelten jetzt hastig Feuerholz. Etwas weiter draußen, im Halbdunkel kaum zu erkennen, hockte Lude mit überkreuzten Beinen im hohen Gras.
    Baedecker war an einem Mittwoch um halb sechs Uhr nachmittags in Denver eingetroffen. Er wusste, dass Tom Gavin sein Büro in Denver hatte, aber in Boulder wohnte, gut dreißig Kilometer näher an den Vorgebirgen. Baedecker fand eine Tankstelle und rief bei Tom zu Hause an. Deedee nahm ab, freute sich, dass er angekommen war, wollte nichts davon hören, dass Baedecker in einem Hotel blieb, und machte den Vorschlag, Tom gleich aufzusuchen, bevor dieser Feierabend machte. Sie nannte ihm Telefonnummer und Adresse. Gavins biblische Organisation hieß sinnigerweise »Apogee« und spielte damit gleichermaßen auf »Erdferne« und »Gipfelpunkt« an. Die Zentrale befand sich im zweiten Stock eines dreistöckigen Bankgebäudes in der Hast Colefax Avenue, mehrere Kilometer von der Innenstadt von Denver entfernt. Baedecker stellte den Wagen auf dem Parkplatz ab und folgte Plakaten und Schildern mit Aufschriften wie EI N BAHNSTRASSE neben einem Finger, der nach oben deutete, oder JESUS CHRISTUS IST DIE ANTWORT und WO WERDEN SIE SEIN, WENN DIE ERLÖSUNG KOMMT?
    Das Büro war groß, und drinnen drängten sich mehrere junge Leute, die selbst für Baedeckers veraltete Ansichten äußerst konservativ gekleidet und frisiert waren. »Kann ich Ihnen helfen, Sir?«, fragte ein junger Mann im weißen Hemd mit dunkler Krawatte. Es war sehr heiß in dem Raum – entweder hatten sie keine Klimaanlage, oder sie funktionierte nicht –, aber der junge Mann hatte dennoch den Kragen zugeknöpft und die Krawatte fest gebunden.
    »Ich bin hier, um Tom Gavin zu besuchen«, sagte Baedecker. »Ich glaube, er erwartet … «
    »Dick!« Gavin schoss hinter einer Trennwand hervor. Baedecker hatte gerade noch Zeit zu registrieren, wie fit und durchtrainiert sein alter Mannschaftskamerad aussah, und die Hand auszustrecken, da warf Gavin auch schon die Arme um ihn und drückte ihn an sich. Baedecker war mehr als überrascht. Tom war immer ein distanzierter Typ gewesen. Baedecker konnte sich nicht erinnern, je beobachtet zu haben, dass Gavin seine Frau in der Öffentlichkeit auch nur umarmte. »Dick, du siehst großartig aus«, sagte Gavin und drückte Baedeckers Oberarme. »Mann, es ist schön, dass du da bist.«
    »Ich freu mich auch, Tom«, erwiderte Baedecker, der sich erfreut und gleichzeitig ein wenig befangen fühlte. Gavin umarmte ihn noch einmal und führte ihn in sein Büro, ein enges Kabuff aus vier Trennwänden. Bürogeräusche hallten durch die warme Luft. Irgendwo lachte eine junge Frau. An einer Wand von Gavins Büro hingen gerahmte Fotografien: eine Saturn- V -Rakete nachts im Scheinwerferlicht auf der Startrampe, das Kommandomodul Peregrine mit dem strahlenden Mond darunter, ein Gruppenbild der Besatzung in Raumanzügen, eine Aufnahme des Landemoduls Discovery, als es gerade zum Landemanöver ansetzte, ein handsigniertes Bild von Richard M. Nixon, der Toms Hand während eines Festakts im Rose Garden schüttelte.

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