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Monde

Titel: Monde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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machten sich an einem kleinen Ofen zu schaffen. Baedecker setzte das Fernglas ab. »Ich sehe zwei von ihnen«, sagte er. »Ich frage mich, wo das Mädchen und der Junge mit dem Hanggleiter stecken.«
    »Da oben«, sagte Maggie und deutete auf den hohen Grat, den die Sonne mit ihren letzten Strahlen streifte.
    Gavin justierte das Fernglas. »Tatsächlich. Dieser Idiot schleppt immer noch den Drachen mit.«
    »Er kann doch nicht vorhaben, heute Nacht zu fliegen, oder?«, fragte Maggie.
    Gavin schüttelte den Kopf. »Nein, er ist noch Stunden vom Gipfel entfernt. Sie wollen nur vor Einbruch der Nacht so hoch oben sein, wie sie können.« Er reichte Maggie das Fernglas.
    »Der frühe Morgen wäre für sein Vorhaben am geeignetsten«, überlegte Baedecker. »Starke Thermik. Nicht zu viel Wind.« Maggie überließ ihm noch einmal das Fernglas, und Baedecker suchte den Grat zweimal ab, bis er die winzigen Gestalten entdeckte, die sich hoch auf dem zerklüfteten Rückgrat des Berges bewegten. Die rotgelbe Tragetasche leuchtete auf, während der Mann sich unter der Last des Bündels aus Aluminium und Dacron beugte. Die Frau folgte ihm in einigen Schritten Abstand und ging gebückt unter ihrer eigenen Last: einem großen Rucksack mit zwei Schlafsäcken. Vor Baedeckers Augen verschwand das Sonnenlicht vom Berg, und die beiden Gestalten waren nicht mehr von dem Durcheinander von Simsen und Felsbrocken zu unterscheiden.
    »Oh-ooh«, sagte Maggie. Sie spähte nach Westen. Die Sonne war noch gar nicht untergegangen, am Horizont hing vielmehr ein Band blauschwarzer Wolken, die das letzte Tageslicht verschluckten.
    »Zieht wahrscheinlich vorbei«, sagte Gavin. »Der Wind weht Richtung Südost.«
    »Das hoffe ich sehr«, sagte Maggie.
    Baedecker richtete das Fernglas wieder auf den Südgrat, aber die beiden menschlichen Gestalten waren so winzig, dass man sie nicht mehr sehen konnte.  
    Über ihnen leuchteten weiterhin die Sterne, aber im Westen war alles in Finsternis gehüllt. Die vier Erwachsenen kauerten um die Gasbrenner und tranken heißen Tee, während Tommy eineinhalb Meter über ihnen auf dem Felsen hockte und nach Norden schaute. Es war sehr kalt und völlig windstill.
    »Sie haben Dicks Frau Joan nie kennengelernt, Maggie, oder?«, fragte Deedee.
    »Nein«, sagte Maggie, »ich habe sie nicht kennengelernt.«
    »Joan ist eine wunderbare Frau«, sagte Deedee. »Sie besitzt die Geduld einer Heiligen. Ihre Persönlichkeit wäre voll und ganz für so einen Campingausflug geeignet, weil sie sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt. Sie erledigt alles so, wie sie es will.«
    »Wohin gehst du nach Colorado?«, fragte Gavin Baedecker.
    »Oregon. Ich hab mir gedacht, ich mache einen Besuch bei Rockford.«
    »Rockford?«, sagte Gavin. »Oh, Muldorff. Zu dumm mit seiner Krankheit.«
    »Welcher Krankheit?«, fragte Baedecker.
    »Joan war die geduldigste Frau von allen«, fuhr Deedee zu Maggie gewandt fort. »Wenn die Männer tagelang, wochenlang fort waren, wurden wir alle ein bisschen nervös – sogar ich, fürchte ich –, aber Joan hat sich nie beschwert. Ich glaube, ich habe in all den Jahren, die ich sie kannte, nicht einmal gehört, wie Joan sich beschwert hat.«
    »Er kam letzten Juni ins Krankenhaus«, sagte Gavin.
    »Ich weiß«, sagte Baedecker. »Aber ich dachte, wegen einer Blinddarmgeschichte. Jetzt ist er doch wieder wohlauf, oder?«
    »Joan war damals schon Christin, aber sie hatte sich nicht völlig Jesus anvertraut«, sagte Deedee. »Jetzt sind sie und Phillip – er ist Buchhalter, glaube ich – sehr aktiv in der evangelischen Kirche in Boston, soweit ich weiß.«
    »Es war keine Blinddarmgeschichte«, sagte Gavin. »Ich habe mit Jim Bosworth gesprochen, einem Lobbyisten auf dem Hill in Washington. Er sagte, Muldorffs Freunde im Haus wüssten, dass er an der Hodgkins-Krankheit leidet. Seine Milz wurde ihm letzten Monat entfernt.«
    »Gehen Sie dort zur Kirche, meine Liebe? In Boston, meine ich.«
    »Nein«, sagte Maggie.
    »Oh, nun ja«, sagte Deedee. »Ich dachte mir nur, vielleicht sind Sie ja mal über Joan gestolpert. Die Welt ist so klein, oder nicht?«
    »Wirklich?«, fragte Maggie.
    »Die Prognosen sind meines Wissens nicht gut«, sagte Gavin. »Aber es besteht immer die Möglichkeit, dass ein Wunder geschieht.«
    »Ja, allerdings«, sagte Deedee. »Einmal, als wir uns alle auf das Unternehmen der Männer vorbereiteten, rief Joan mich an und fragte mich, ob ich kommen und auf ihren kleinen Jungen

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