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Monde

Titel: Monde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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aufpassen könnte, während sie ein Geburtstagsgeschenk für Dick kaufen ging. Ich hatte eine Freundin aus Dallas zu Besuch, sagte aber: › Klar, wir kommen beide rüber. ‹ Nun, Scott war damals etwa sieben und Tommy drei oder vier … «
    Baedecker stand wortlos auf, ging zum Zelt, kroch hinein und hörte nichts mehr.  
    Als Baedecker sieben oder acht war, irgendwann Anfang des Krieges, hatte er seinen Vater auf einen Angelausflug zu einem Stausee irgendwo in Illinois begleitet. Es war der erste Angelausflug über Nacht, zu dem er mitdurfte. Er wusste noch, wie er mit seinem Vater in einer Touristenblockhütte am See in einem Bett geschlafen hatte und am Morgen in einen heißen, strahlenden Mittsommertag hinausgetreten war. Der breite Wasserstreifen schien alle Geräusche zu dämpfen und gleichzeitig zu verstärken. Die dichte Vegetation entlang des Schotterwegs zum Dock hinunter machte einen unüberwindlichen Eindruck, und die Blätter waren um halb sieben Uhr morgens schon mit Staub bedeckt.
    Das kleine Ritual, das Boot und den Außenbordmotor vorzubereiten, war aufregend, ein Extravergnügen in der generellen Aufregung des Ausflugs. Die hinderliche, nach Fisch riechende Schwimmweste wirkte beruhigend. Das kleine Boot tuckerte langsam über den Stausee, schnitt durch das stille Wasser, wirbelte träge Regenbogen auf, wo Benzin ausgelaufen war, und das Pochen des Zehn-PS-Motors verschmolz mit dem Geruch von Benzin und Fischschuppen und weckte in Baedecker ein kristallklares Gefühl für die Örtlichkeit.
    Als der Damm den Fluss vor ein paar Jahren verstopft hatte, war die alte Highwaybrücke weit vom Ufer entfernt gestrandet. Jetzt standen nur noch zwei Bruchstücke des Brückenbogens, die sich so weiß wie gebrochene Schenkelknochen vor dem blauen Himmel und dem dunklen Wasser abzeichneten.
    Der junge Baedecker war fasziniert von der Vorstellung, diese Brückenrelikte zu betreten, weit draußen in der heißen Ausdehnung des Sees darauf zu stehen und zu angeln. Baedecker wusste, dass sein Vater mit einem Blinker fischen wollte. Er kannte die grenzenlose Geduld, mit der sein Vater angeln würde, mit der er stundenlang, fast ohne zu blinzeln, die Schnur beobachtete, während er das Boot über den See tuckern oder gar mit ausgeschaltetem Motor treiben ließ. Baedecker besaß diese Geduld nicht. Das Boot kam ihm bereits zu klein vor, ihr Tempo viel zu langsam. Der Kompromiss bestand darin, dass der Vater den Jungen mitsamt der schwerfälligen Schwimmweste aussteigen ließ, während er selbst die nahegelegenen Buchten nach vielversprechenden Fischgründen absuchte. Er nahm Baedecker das Versprechen ab, in der Mitte des größeren der beiden Bogen zu bleiben.
    Die friedvolle Einsamkeit war herrlich. Er beobachtete das Boot seines Vaters, bis es hinter einer Landzunge verschwunden war, dann starrte er weiter auf die Stelle, bis die letzten Geräusche des Außenbordmotors verhallten. Die Sonne brannte sehr heiß, und die Beobachtung von Angelschnur und Blinker gewann schon bald etwas Hypnotisierendes. Die kleinen Wellen, die knapp zwei Meter tiefer gegen die moosbewachsenen Unterseiten der Brücke plätscherten, erzeugten die Illusion von Bewegung, als würden die beiden Bruchstücke der Brücke langsam über den Stausee treiben. Nach einer halben Stunde weckten die Hitze und das Gefühl der Bewegung eine leichte Übelkeit in dem Jungen, ein pochendes Pulsieren von Schwindel. Er holte die Schnur ein, lehnte die Angel an das rissige Betongeländer und setzte sich auf die Straße. Es war immer noch zu heiß. Er zog die Schwimmweste aus und fühlte sich gleich besser, als der Schweiß auf seinem Rücken trocknete.
    Er war sich nicht sicher, wann ihm der Einfall kam, von einem Teil der Brücke auf den anderen zu springen. Die beiden Trümmer des gebrochenen Brückenbogens waren nicht einmal durch zweieinhalb Meter Wasser voneinander getrennt. Der Straßenbelag des kleineren Teils befand sich knapp zwei Meter über der Wasseroberfläche, aber der größere Teil, auf dem Baedecker stand, hatte sich nicht so weit abgesenkt und lag dreißig Zentimeter höher, wodurch der Sprung noch einfacher aussah.
    Der Gedanke zu springen wurde rasch zum Zwang, einem Druck, der in Baedeckers Brust pochte. Mehrmals schritt er zum Rand des Brückenbogens, plante seine Schritte, übte den Absprung. Aus irgendeinem Grund glaubte er, dass sein Vater zufrieden und amüsiert sein würde, wenn er zurückkam und seinen Sohn auf dem anderen Abschnitt

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