Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mondgeschöpfe (Phobos)

Mondgeschöpfe (Phobos)

Titel: Mondgeschöpfe (Phobos) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schuck
Vom Netzwerk:
und bleib ganz locker", setzte er hinzu. "Dann passiert dir nichts."
    "Großartig!", entgegnete ich und fühlte mich so locker wie in einem Zahnarztstuhl. Ich fühlte wieder diese schreckliche Wut in mir hochkommen, die alle traf, die mit mir etwas taten, was ich nicht wollte.
    "Weißt du", begann der Typ zu philosophieren, "die Psychiatrie ist schon eine merkwürdige Sache. Manchmal denke ich, ich bin völlig normal. Dann wiederum geschehen mir seltsame Dinge. Dann muss ich seltsame Dinge tun."
    Er ließ freundlicherweise offen, was diese seltsamen Dinge waren, die ihn veranlassten, an seiner Normalität zu zweifeln. Ich blickte zu ihm hinüber. Dieser Mensch mochte etwa zweiundzwanzig Jahre alt sein, braunes Haar, sicher ein bisschen zu dick für sein Alter. Sein Gesichtsschnitt war vielleicht nicht völlig unsympathisch. Aber dieses Lächeln, das mich Mitleid mit den Fröschen bekommen ließ, störte sicher nicht nur mich und die Frösche. Genau dieses Lächeln erschien wieder in dem Augenblick, in dem der Typ die Hand aus der Tasche seiner Windjacke zog und sein Stilett aufspringen ließ.
    "Ich hatte dir ges agt, du sollst nach vorn sehen!", herrschte er mich an.
    Und das war genau der Ton, den ich gar nicht gebrauchen konnte. Besonders nicht in dem Zustand von Unruhe, in dem ich mich gerade befand. Ich wandte meinen Blick scheinbar wieder der Straße zu, griff aber dann, ohne überhaupt nach rechts zu sehen, blitzschnell dem jungen Mann in den Nacken. Schwungvoll knallte ich sein Gesicht auf das Armaturenbrett. Der Mann schrie auf, verlor sein Messer, zuckte blindlings zurück. Ich wiederholte mit einem lässigen Ruck meines Armes den für ihn sicher sehr schmerzhaften Vorgang noch einmal so mühelos, als wäre die Wirbelsäule meines Gegners aus Stroh geflochten und seine Muskeln aus Gummi. Wahrscheinlich hatte er noch niemals eine solche Kraft zu spüren bekommen. Ich war jetzt ziemlich wütend. Vielleicht noch nicht voll und ganz, aber auf dem besten Wege dazu, sehr, sehr wütend zu werden. Das war genau der Typ Mensch, den ich hasste, der kleine Scheißer, der darauf aus ist, andere, noch kleinere Scheißer, unter seinen Daumen zu kriegen. Während mir all das durch den Kopf ging, lenkte ich den Wagen mit links, ganz sicher und ruhig.
    Ich sagte zu ihm ganz ruhig, ganz cool: "Wenn du noch mehr Dummheiten machst, zerquetsche ich dich wie eine lästige, dicke Fliege an der Windschutzscheibe. Hast du mich verstanden?"
    Der Mann wimmerte. Seine zersprungenen Lippen bemühten sich jenes unterwürfige Lächeln hinzubiegen, das ich immer bei diesem unsäglichen Renfield vermutete, wenn er den Grafen Dracula anhimmelte. Ich rede natürlich von dem Roman Bram Stokers.
    Dieser Renfield in meinem Auto hatte mich jedenfalls verstanden. Ich entspannte mich wieder. Vielleicht war der Tag doch nicht so schlecht. Vielleicht hatte ich einen neuen Fan gefunden.
    Ich fuhr sehr schnell. Über die Autobahn brauchte ich normalerweise hundert Minuten bis zum Institut. Ich lag gut in der Zeit.
    Renfield gab keinen Mucks mehr von sich. Er schwankte still auf dem Vordersitz vor und zurück. Vor und zurück. Arme Kreatur, dachte ich.
     
    *****
     
    Es wurde dunkler.
    Im Institut wartete wieder eine Kette von Blutuntersuchungen auf mich.  Manchmal fühle ich mich wie ein Außerirdischer. Was würden sie hier wohl mit einem echten Außerirdischen machen? Sie würden seine Hitze und Kältebeständigkeit prüfen, sie würden ausprobieren, wie er auf giftige Substanzen reagiert und auf Schmerz, sie würden feststellen, wie lange er ohne Schlaf auskommen kann. Und am Ende würden sie ihn auf jeden Fall sezieren. Das würde mir nicht passieren. Keineswegs!
    Die Lichter des Institutes tauchten auf. Ich stellte den Wagen auf dem immer noch überfüllten Parkplatz ab.
    "Warte hier auf mich!", knurrte ich Renfield an, so dass dieser vor Schrecken ein Stück in den Fußraum des Wagens rutschte. Ich war sehr zufrieden mit mir. Graf Dracula wäre stolz auf mich gewesen.
    Ich stieg aus und sog die Luft des Institutes tief ein. So viele junge, kräftige Menschen, so angenehme Gerüche. Tierische Gefühle stiegen in mir auf, als ich die scharfe Sichel des Mondes über den hohen Gebäuden dieses Wissenstempels sah. Harte Windstöße klatschten gegen die großen Scheiben. Der Sturm schien wieder zuzunehmen. Er tat mir gut. Auch dieser Sturm war eine Art Aufstand, ein Aufstand der unterdrückten und gefolterten Erde. Und ich hatte daran Anteil.

Weitere Kostenlose Bücher