Mondherz
schliefen sicherlich schon, nur die Pförtnerin dürfte noch wachen. Um sie musste er sich zuerst kümmern.
Er durchquerte den Garten. Der Duft von Salbei und Basilikum streifte seine Nase. Er sprang über ein schmales Mäuerchen, das die Kräuterbeete von einem Laubengang trennte. Im Schutz der Hecken näherte er sich der Pforte, die von schwachem Lampenschein erleuchtet war. Eine Nonne in ihrer schwarz-weißen Tracht saß vor dem Durchgang auf einer Bank und döste mit halboffenem Mund. Gábor kam lautlos heran, trat hinter sie und zog sein Schwert. Er hatte tiefen Respekt vor den Frauen, die ihr Leben als Bräute Jesu verbrachten. Dieses Amt war vielleicht die ehrenvollste Herausforderung überhaupt für das schwache Geschlecht. Seine Anerkennung änderte jedoch nichts an seinem Vorhaben. Mit dem Schwertgriff schlug er der Dominikanerin an die Schläfe. Sie sank stöhnend zusammen. Mit dem freien Arm fing er sie auf und bettete sie auf die Bank. Bis die Nonne erwachte, würde er die Insel längst hinter sich gelassen haben.
Miklos hatte die Bediensteten ausgehorcht, die das Mädchen gestern hierhergebracht hatten, und so wusste er, wo sie sich in dem weitläufigen Gebäude befand. Die Dunkelheit der Klostergänge behinderte ihn nicht. Er empfand die Nacht als seinen Freund, ebenso die Spannung des nahenden Gewitters, das die Luft zum Zittern brachte. Das Wetter spiegelte die Anspannung in seinem Inneren. Er fragte sich, ob das Mädchen noch am Leben war. Ob sie vielleicht das rote Mal trug. Er wagte nicht daran zu glauben. Vor zehn Jahren hatte er seinem Lehrer Viktor geschworen, sie zu finden, die Frau, die Agnes’ Prophezeiung erfüllen konnte. Bisher war er gescheitert – und sein Scheitern hinterließ drei Leichen, zu denen sich heute vermutlich ein weiteres unschuldiges Mädchen gesellen würde. Seine Taten würden ihm früher oder später den Weg in die Hölle weisen. Doch bis dahin war nichts verführerischer als die Hoffnung, dass die Suche endlich zu Ende war.
Er hörte den langsamen Atem der schlafenden Nonnen, als er an ihrem Dormitorium vorbeikam. Endlich sah er den matten Lichtschein von Talglampen, der aus dem Krankensaal drang. Manche Patienten waren noch wach, sie jammerten leise, und zwei Nachtschwestern beteten monoton. Gábor beschleunigte seine Schritte, als er an den offenen Türen des Saals vorbeihuschte, dann schob er vorsichtig die halboffene Tür zu einer der Einzelzellen auf, die den wenigen adligen Patienten vorbehalten waren.
Das Mädchen lag regungslos auf der Bettstatt, ihr blondes Haar wie ein Fächer um ihr weißes Gesicht gebreitet. Für einen Moment fürchtete Gábor, dass sie gestorben und sein Kommen umsonst war. Aber dann hörte er ihr Herz pochen, tief und kräftig wie die Flut in einer stürmischen Nacht. Mit einem Satz war er an ihrem Bett, und er zauderte kaum. Rasch streifte er ihr das Leinengewand von den Schultern, betrachtete ihren Hals und ihren Nacken. Und da war es, das Feuermal, ein unförmiger purpurner Fleck auf ihrer rechten Schulter. Er schloss die Augen.
Sie ist es, sie ist die Richtige.
Das Mädchen dämmerte noch in Fieberträumen, doch ihr Blut rauschte bereits mit wölfischer Kraft. Er hielt sie fest, und sein eigenes Blut stimmte mit ein in den dunklen Tanz. Ein Schlag schloss an den anderen an, und der Klang durchströmte ihn mit uralter Stärke.
Schließlich löste er sich widerstrebend aus dem Bann. Er hatte keine Zeit zu verlieren. Rasch hob er das Mädchen hoch und legte es auf den Boden. Sie stöhnte leise. Reagierte sie bereits auf den Geruch seines verwandten Bluts?
Es fiel ihm schwer, seinen Blick von ihr loszureißen. Behutsam nahm er das einfache Kreuz, das über dem Bettlager an der Wand hing, brach es auseinander und zerstreute die Einzelteile auf dem Laken. Die Nonnen würden es als Zeichen für die Gottlosigkeit des Mädchens deuten, was ihre Trauer um sie vielleicht lindern würde. Ein Rumpeln ertönte vom Ende des Gangs. Er sprang zur Tür und verbarg sich mit angehaltenem Atem dahinter. Eine Nonne huschte vorüber, in der Hand einen Nachttopf. Er atmete aus. Sie hatte keinen Blick in die dunkle Kammer geworfen. Jetzt durfte er nicht länger zögern. Er griff das Mädchen und legte es sich über die Schulter, packte den Wasserkrug, der am Fuße des Bettes stand, dann trat er hinaus auf den Gang.
Während er sich seinen Weg zurück suchte, fühlte er mehr als er hörte, dass sich ein oder zwei Nonnen schlaftrunken im Dormitorium
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