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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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und wäre erneut gestürzt, doch er zog sie an sich und verdrehte dabei ihren Arm. Schmerz raste ihre Schulter hinauf und ließ sie aufschreien.
    »Gábor, ich habe sie«, rief der Narbige.
    Gleich würde ihr Verfolger durch die Tür kommen. Sie krümmte sich vor Angst und Schmerz, und ihr Blick verschwamm unter Tränen. Sie wollte nicht sterben. Sie versuchte sich loszureißen, doch der Narbige hielt sie mit eiserner Kraft. Als ihr Verfolger nach draußen trat und sich ihre Blicke kreuzten, wurde die Welt in Stücke gerissen. Nur Schatten, Licht und Bewegung blieben. Etwas in ihrem Inneren zerriss zugleich, verschlang die Angst und setzte etwas anderes frei, eine Kraft, die gegen den Schmerz antrat und wie eine Flamme durch ihren Körper loderte.
Kämpfe!
Die Welt um sie verfärbte sich rot. Ein Grollen kam über ihre Lippen. Sie fuhr herum und schnappte nach dem Narbengesicht, der sie immer noch festhielt. Er ließ sie los und stolperte zurück. Sie hob witternd den Kopf. Sie roch ihn, sein stechendes, dunkles Aroma. Schweiß lag darin, aber auch etwas anderes, seltsam Vertrautes. Es verstärkte in ihrem Inneren noch jene wilde Kraft. Sie spannte ihre Muskeln an. Dunkel rauschte das Blut in ihren Ohren, ein pulsierender Tanz, der all ihre Gedanken hinwegfegte. Unsichtbare Hände zerrten an ihrer Haut, um sie aus der zu engen Hülle zu befreien. Ihre Knochen knackten und streckten sich, schienen sich erstmals an ihren richtigen Platz zu fügen. Sie heulte auf, als helles Fell auf ihren Armen spross. Haar bedeckte auch ihre Hände, während sich ihre Finger zu Krallen formten. Ihr Hemd riss an den Schultern, und sie streifte es achtlos ab. Der Wald lockte sie mit seinem uralten Gesang von Freiheit und Jagd. Dort würde sie den Männern entkommen! Sie duckte sich und setzte zum Sprung an, als ein Hieb sie am Kopf traf und die Welt schwarz werden ließ.
     
    Als sie wieder zu sich kam, schlug der Schmerz mit der Kraft eines Schmiedehammers gegen ihre Schläfen. Benommen hob sie die Hände an ihre Stirn.
    »Der Schmerz wird bald vergehen«, sagte jemand in sachlichem Tonfall. Sie schaute auf. Der Mann, der Gábor genannt wurde, stand an die Wand gelehnt und musterte sie mit undeutbarem Gesichtsausdruck.
    Die Furcht vor diesem Mann schlug sich wie mit Krallen in ihr Herz. Sie war unfähig, seinem Blick standzuhalten, und wandte sich ab. Sie lag auf dem gleichen Strohsack, auf dem sie schon einmal aufgewacht war. Was war geschehen? Sie war vor ihm nach draußen geflohen und …
    Mit einem Schrei riss sie die Hände vors Gesicht. Sie waren menschlich. Mit panischem Blick starrte sie auf ihre Arme, ihre Beine. Ihre Gliedmaßen sahen so aus wie immer. Keuchend holte sie Luft. Es war alles ein Traum gewesen, ein furchtbarer Alptraum. Eine andere Erklärung gab es nicht. Der Wahn ihrer Fieberkrankheit, der Mord an dem Pater, das alles hatte sie zeitweilig verrückt werden lassen. Sie fuhr sich über die verschwitzte, klamme Haut. Sie war kein Ungeheuer. Doch sie trug das Nachthemd nicht mehr. Ein grobes Laken war stattdessen um ihren Leib gewickelt. Darunter war sie nackt. Entsetzt stöhnte sie auf. Es konnte, es durfte nicht sein!
    »Zieht das an.« Der Mann warf ihr ein Bündel Kleidung zu. »Ich warte vor der Tür auf Euch.«
    Das Kleid war aus einfachem Linnen, doch es passte ihr, als wäre es für sie gefertigt worden. Mit unsicheren Schritten trat sie ein paar Minuten später auf den Gang hinaus.
    »Gut.« Der Mann nickte. Im Schatten hinter ihm sah sie den vernarbten Kerl, der ihre Flucht vereitelt hatte. Sein verunstaltetes Gesicht ließ erneut ihren Atem stocken. Er hielt seinen Schwertgriff umklammert und starrte sie an, als wäre er geneigt, sie jederzeit anzugreifen. Ihre Knie zitterten.
    »Was ist mit mir passiert? Und was wollt Ihr von mir?«
    »Wir reden später«, sagte Gábor und nahm sie am Arm. Dass sie zurückzuckte, ignorierte er. »Erst müsst Ihr etwas essen.«
    Sein Griff war fest, als er sie durch Gänge führte, die sich alle in ihrer trostlosen Vernachlässigung ähnlich sahen.
    In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander und drohten sie in einen Strudel zu reißen, aus dem sie nicht mehr herausfand. Dumpf nur konnte sie sich daran erinnern, was mit ihr geschehen war. Etwas hatte ihren Körper, nein, ihr ganzes Wesen zur Raserei gebracht. Sie taumelte. War sie etwa von Dämonen besessen? War das der Grund, warum sie hier war, und nicht ihr Beisein am Mord des Paters? Was immer Gewalt über

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