Mondherz
dass das Schicksal mich auch so finden würde. Dann kamst du.«
»Hör auf mit dem Gerede!« Sie hob die Hände, hatte sie zu Fäusten geballt, noch während er sprach. Ihre Wölfin jaulte auf. »Du elender Hundsfott! Wie einfach du es dir doch machst, indem du einfach Befehle befolgst.« Sie spuckte ihm das Wort vor die Füße. »Erzähl mir nicht, dass du die Morde bereust. Oder den Verrat an mir!« Ein neuer Gedanke kam ihr. »Weiß Miklos von der ganzen Sache?«
Gábor schüttelte den Kopf. »Ich habe es ihm nie erzählt.«
»Und Michael?« Sie beantwortete ihre Frage im gleichen Moment selbst. »Natürlich weiß er es.«
Gábor hat Euch für höhere Weihen bestimmt,
hatte Michael gesagt, als er sie verführen wollte. Wahrscheinlich hatte er es nur bei ihr versucht, um Gábor eins auszuwischen.
»Ein erbärmlicher Bund seid ihr!« Vor Wut kippte ihre Stimme über. »Eine Bande von Frauenhelden und Kupplern.«
»Nein!« Gábor trat auf sie zu und wollte sie an der Schulter packen. Sie schlug seine Hand weg.
»Glaube mir«, flehte er und fuhr sich über die Stirn. »Seit du mir begegnet bist, habe ich mir so oft gewünscht, dass du nicht die prophezeite Frau wärst. Doch diese Prophezeiung ist wichtiger als unsere Gefühle, wichtiger als wir alle. Sie wurde ausgesprochen, um die Christenwelt zu retten, vor genau fünfhundert Jahren. Und wir brauchen dieses Kind mehr denn je. Wir treiben auf einen Abgrund zu. Schwächlinge und Intriganten regieren Europa, und keiner von ihnen ist fähig, die Osmanen aufzuhalten.« Er stockte.
Noch nie hatte sie ihn so hilflos gesehen. Sie spürte jedoch kein Mitleid, nur kalte Abscheu. »Ich glaube nicht, dass du das beurteilen kannst, Türkenbastard.«
Sein Gesicht verwandelte sich in eine starre Maske. Er wich zurück.
Sie hatte ihn verletzt. Diese Erkenntnis erfüllte sie mit bitterer Genugtuung. Sie verschränkte die Arme. »Ich gehe nicht zurück nach Temeschburg. Und dich will ich nie wieder sehen.«
Sie ging hinaus, ohne sich umzusehen. Gábor folgte ihr nicht. Sie schritt durch den Hof, ging die Treppe des Gasthauses hinauf und betrat ihr Zimmer. Mechanisch begann sie, das Bettzeug zu richten und das zerrissene Nachthemd zusammenzulegen. Schon war der Geschmack ihrer Genugtuung schal geworden. Durch die Wut drang die Ratlosigkeit. Wo sollte sie nur hin ohne Gábor und Miklos? Ihr Leben war wie eine ehemals starke Festung, die nun von Lügen und Verrat zerstört worden war.
Sie schlug die Hände vors Gesicht und sank auf die Knie.
Später kam Miklos ins Zimmer. Wortlos kniete er sich neben sie und nahm sie in die Arme. Sie schluchzte an seiner Schulter, bis der Schmerz zu einem dumpfen Pochen herabsank, dann holte sie Atem und berichtete ihm stockend, was vorgefallen war. Er lauschte und schwieg dabei, doch am Purpurrot seiner Narben erkannte sie, wie sehr ihn die Geschichte bestürzte. Seine Finger krampften sich um ihr Handgelenk, als sie erzählte, dass Gábor im Namen der Prophezeiung drei Morde verübt hatte.
»Davon habe ich nichts geahnt«, flüsterte er. »Die Frau in Prag, die angeblich todkrank war … sie war wohl die, nach der er aufgehört hat. Er hat mich angelogen.« Sie konnte die Enttäuschung in seinen Augen lesen.
»Was soll ich jetzt nur tun? Miklos, du musst mir helfen!«
Er dachte nach, lange, ohne ihre Hand loszulassen. Seine Augen umwölkten sich.
Sie biss sich auf die Lippen, wartete ungeduldig auf seine Antwort. Er war ihr Bruder, ihr bester Freund, und doch war er Gábor noch tiefer verpflichtet als ihr. Was würde sie tun, wenn er sich ebenfalls gegen sie wandte?
Doch das tat er nicht. »Es gibt nur eine Möglichkeit«, sagte er leise. »Du musst zu Viktor gehen.«
»Zu dem Ältesten? Er ist doch schuld an allem.«
»Genau deshalb solltest du mit ihm reden«, meinte Miklos.
Veronika verstand zuerst nicht, doch bei Miklos’ nächsten Worten stockte ihr der Atem.
»Er ist der Einzige, der dich von dieser Prophezeiung freisprechen kann.«
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20 . Kapitel
Prag, Sommer 1457
S eit dem Johannisfest stöhnte das böhmisch-ungarische Reich unter der Sonne. Erbarmungslos strahlte sie vom Himmel herab, der blau leuchtete wie die Kornblumen, die die verdorrten Felder sprenkelten. Träge schob sich das glitzernde Band der Moldau durch das Land, und auch unter den prächtigen Brücken von Prag hindurch.
Gábor erinnerte Prag an eine schläfrige Katze, die sich in der Sonne räkelte und ihre Besucher aus halboffenen Augen
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